Ui, hier geht's ja heiss her... Sorry, aber ich muss jetzt einfach meine Gedanken dazu auch noch los werden (ohne jetzt alle Beiträge gelesen zu haben...)
Um es gleich vorweg zu nehmen: Ich bin absolut der Überzeugung, dass kein Verhalten eines Lebewesens eine derart brutale Behandlung durch die Hand der vermeintlich intelligenteren Spezies Mensch rechtfertigt.
Dieses kurze Video und die Stellungnahme sagen schon so einiges über die Arbeitsweise dieser HS aus und stellt sie für mich in allen Belangen weit ins Abseitz. Schon alleine die Tatsache, dass dies zu demonstrativen Zwecken für zukünftige „Hundetrainer“ so gestellt wurde, kann ich nicht nachvollziehen. Der „Schüler“ im Video, der den Hund hält, hat noch nicht einmal das Timing zwischen dem Kommando „Sitz“ und dem Leinenzupfer im Griff. Wenn schon diese einfache Übung über positive Strafe funktionnieren soll, dann wäre es schon nur fair, dem Hund wehnigstens die Chance zu geben, auf das Wortkommando zu reagieren. Und sojemand soll ein massives Problemverhalten „korrigieren“? Wurde da in die Runde gefragt „wer hat noch nie, wer will das mal ausprobieren?“. Auch andere Dinge sind alles andere als Optimal: Hundegebell im Hintergrund, Gelächter, Hundeplatz (Übungsplatz), Schaulustige (Schüler), Würgehalsband, Leinengezerre, Herumgeschubse. Zudem ist sich der Hund nicht einmal an den Maulkorb gewöhnt und versucht ihn an der Halterin abzustreifen. Und der Napf? Hat man sich das Ganze so kurzfristig einfallen lassen, dass man sich nichtmal einen ordentlichen Knüppel organisieren konnte?
Auch wenn ich mit so einem Hund sicher nie so arbeiten würde, wäre ich die Sache ganz anders angegangen. Positive Strafe kann sehr effektiv sein, das ist so. Es kann aber auch unheimlich in die Hose gehen. Um das zu vermeiden, müssen möglichst alle Fehlerquellen elliminert werden. Heisst: man schaft sich die Umgebung so, dass möglichst keine Fehlverknüpfungen entstehen können. Man macht sich Gedanken über die Art und Weise und mit was. Man muss den Hund sehr gut kennen, muss wissen womit man ihn bestraffen kann, was er schon als Bestraffung kennt. Wann reagiert er in welcher Situation wie heftig. Was sind die Auslöser. Jeder Beteiligte muss ganz genau wissen was er wieso wann tut. Timing ist das A und O. Wie verhält man sich nach der Strafe? Der Hund muss ausreichend gesichert sein, darf unter keinen Umständen irgendwie zum „Erfolg“ kommen. Man muss abschätzen können, wie stark die Strafe sein muss um das Verhalten des Hundes zuverlässig zu unterbrechen, ohne dem Hund gleichzeitig einen Schaden zuzufügen. Das ist unglaublich schwierig. Man macht sowas nie und nimmer zu „Vorführzwecken“, und stellt den Film dann auch ganz sicher nicht bei Youtube rein. Alles Andere ist sehr unseriös und einfach nur dämlich.
Unsachgemässe Anwendung poitiver Strafe kann ernsthafte Folgen haben. Der Hund kann entweder zur tickenden Zeitbombe werden oder auch in die „erlernte Hilflosigkeit“ fallen. Gerade letzteres ist äusserst schlimm für den Hund, der dann einfach nur noch „funktionniert“ und vor sich hin lebt. Da wäre der Tod würdevoller.
Wenn nicht so, wie dann? Ich arbeite mit solchen Hunden über positive Verstärkung. Ich möchte, dass der Hund lernt, was er anstelle des vom Menschen unerwünschten Verhaltens machen soll. Zudem arbeite ich an der Emotion – schliesslich haben wir es hier mit emotionalen, denkenden, fühlenden Lebewesen zu tun.
Als allererstes werden Managementmassnahmen eingeführt. Maulkorbgewöhnung, Sicherung über gute Hilfsmittel. Der Mesnch muss am Anfang der Problemsituation ausweichen können, gegebenenfalls auch mal „nein“ sagen können, wenn beispielsweise ein Mensch sich zu direkt und schnell annähert, dass der Hund auslösen müsste. Gleichzeitig wird jeder Hund gesundheitlich abgeklärt. Schmerzen oder eine SDU sind häufige auslöser für aggressives Verhalten. Dann muss der HH einiges über das Lernverhalten seines Hundes lernen. Einige HH müssen auch noch einiges über ihren eigenen Hund lernen: womit kann man ihn motivieren, was sind Stressauslöser, wann fühlt er sich wie, wie zeigt Hund mir, dass es ihm gerade nicht gut geht,...
Grundgehorsam muss meist noch etwas gefestigt und generalisiert werden, damit er auch in schwierigen Situationen stressfrei für alle Beteiligten abrufbar ist. Natürlich positiv aufgebaut, damit hier nicht schon wieder schlechte Emotionen geschürt werden und auch eine Zuverlässigkeit gewährleistet werden kann. Dann kommen neue Kommandos wie ein Aufmerksamkeitssignal und ein Geschirrgriff dazu, um den Hund umlenken oder aus der Situation nehmen zu können. Bietet sich ein Alternativverhalten an? Das alles wird (beinahe) bis zur Perfektion in allen möglichen Situationen geübt, gefestigt und generalisiert.
Offene Fragen müssen beantwortet und unter Umständen so einiges geändert werden: Wie wird der Hund gehalten? Werden seine Bedürfnisse berücksichtigt? Wie wird er körperlich und geistig ausgelastet? Womit wird er gefüttert?
Dann geht es auch darum, dass Hund und Halter wieder Spass aneinander bekommen. Was passt? Wie können sie zu einem Team werden, das sich vertraut und sich aufeinander verlassen kann? Mantrailing, Dogdance, Trickdogging, Trüffelsuche, wasauchimmer... Erfolgserlebnisse sind wichtig!
Direkt an der Problemsituation wird selbstverständlich auch gearbeitet. Am einfachsten zuerst mit einer simplen Gegenkonditionierung nach Lehrbuch. Dann wir auch desensibilisiert. Idealerweise immer so, dass der Hund das Fehlverhalten nicht mehr üben kann. Heisst: der Hund wird so nahe an den Auslöser herangeführt, dass er entweder noch selbst eine erwünschte Verhaltensweise zeigen kann (sich selbst herausnehmen oder ruhiges Verhalten), oder er zumindest vom Halter auf eine positive Weise aus der Situation genommen werden kann. Hund soll lernen, dass sich Eigeninitiative die meinen (HH) Vorstellungen entspricht, sich lohnt und ich eine „weise“ „Führungspersönlichkeit“ bin, die die Situation, die für den Hund schwierig ist, souverän lösen kann.
Dadurch ändere ich die Emotion, die dem Fehlverhalten zugrunde liegt. Der Hund verliert dann beispielsweise seine Angst vor anderen Hunden, lernt gleichzeitig sich an seinem HH zu orientieren, wenn es mal irgendwie schwierig wird für ihn. Der gegenseitige Respekt wird vertieft und eine Vertrauensbasis geschaffen.
Solch ein Training dauert lange, nicht selten lebenslänglich (garantiert länger als 3 Minuten). Hund und Halter haben die Chance, unheimlich viel voneinander zu lernen – von einer eventuellen Master-Slave-Beziehung zu einem Team zu wachsen. Und was gibt es schöneres?
Liebi Grüesslis
Cuvac