William Golding – Lord of the Flies / Herr der Fliegen
Eine Gruppe britischer Jungen findet sich nach einem Flugzeugabsturz auf einer unbewohnten Insel wieder. Sie sind vom Alter und den Charakteren her sehr unterschiedlich und nach und nach nehmen sie Rollen an, weisen sich Attribute zu und versuchen eine Gemeinschaft zu erarbeiten, die nur vom Ozean begrenzt wird, ohne die Macht, Wissen und Aufsicht von Erwachsenen, Eltern oder der Gesellschaft.
Ein interessanter Klassiker, beschrieben als "dunkle Parabel auf die verborgene Barbarei zivilisierter Gesellschaften", wirft er Fragen über uns und unsere Umwelt auf. Auf einer Insel, auf der es Essen und Wasser gibt, warmes Wetter und keine offensichtlichen Gefahren, ist diese Geschichte ein Sinnbild für den Zerfall von instabilen Strukturen, die ohne Fundament erschaffen wurden. Die Jungen teilen sich in klein und groß, in Vorsitzender, in Jäger, es werden Entscheidungen in Versammlungen getroffen, an die sich Niemand hält und auch die Muschel, die dem Träger Autorität verleiht, verliert alsbald jede Wirkung. Wahrhaftig wird hier aus Spaß bitterer Ernst.
Stephen King – 11.22.63 / Der Anschlag
Der 35-jährige Englischlehrer Jake Epping bekommt die Möglichkeit aus seinem Jahr 2011 in das Jahr 1958 zu reisen. Sein Kumpel Al hat ein Zeitreise-Portal entdeckt und durch seine vielen Besuche und längeren Aufenthalte ab dem Jahr 1958 eine Obsession entwickelt, die er nun auf Jake überträgt: den Mord an John F. Kennedy in 1963 zu verhindern. Jake ist fasziniert von der ganzen Sache, kommt das Zeitreisen doch mit einigen Regeln und Möglichkeiten daher, die ihn dazu treiben, zu versuchen was Al ihm aufgetragen hat.
Ein fantastischer Roman, der das Amerika der 60er feiert, die Musik, die Tänze, das Leben, die Liebe, die Menschen, die Preise, das Bier, das Essen, die Autos. Aber auch ein Land des Rassismus, der Waffengewalt und politischem Fanatismus. Es gibt unzählige liebenswerte und unliebsame Charaktere, Jake's Reise und Leben in einem vergangenen Amerika ist unglaublich interessant und spannend und voller Hingabe für seinen Job als Lehrer und seine Schüler und später für eine junge Bibliothekarin an seiner Schule. Doch wie das Jahr 1963 näher rückt fängt sich Jake's Geschichte an zu wandeln und er beginnt den vermeintlichen alleinigen Schützen, Lee Harvey Oswald, der Kennedy erschossen haben soll zu oberservieren um das Attentat zu verhindern.
Ich mochte das Buch sehr – vor allem die kleinen Meta-Bemerkungen und den großartig geschriebenen Charakter Jake Epping/George Amberson. Kein typischer King-Horror, aber typisch gute Charaktere und eine unterhaltsame Geschichte. Die Science Fiction beschränkt sich auf das Element des Portals an sich und am Ende die spärliche Erklärung, was es eigentlich ist und wie es funktioniert. Es gibt Body Horror hier und da und natürlich den Horror schwieriger Entscheidungen, denn die Vergangenheit verändert die Zukunft. Das Buch hat durchaus seine Längen, ich persönlich fand den Teil über Oswald selbst schwierig, die gewalttätige Ehe mit Marina und später seine Kontakte zu George de Mohrenschildt. Hier wird einem bewusst, wie Personen sich radikalisieren, wie Fanatismus entsteht und sich entwickelt, wie sehr das politische Amerika der 60er Jahre "Gefangener seiner Zeit" war. Das Ende war supertraurig aber dennoch charmant gelöst. Ich habe die englische Version mit 734 Seiten gelesen, es gibt sogar noch ein längeres Nachwort von King, in dem er herausstellt wie viel Recherche in dieses Buch geflossen ist und das er es schon 1972 hatte schreiben wollen. Das englische Hörbuch ist großartig, Sprecher Craig Wasson hat die Sprache und Akzente superb hinbekommen, gerade den russisch-amerikanischen de Mohrenschildt mit deutschem Akzent und den Charakter des gebeutelten Harry Dunning.