Beiträge von Estandia

    Alex Michaelides – The Maidens / Die verschwundenen Studentinnen


    Mariana Andros ist Gruppenpsychologin und noch in tiefer Trauer um ihren kürzlich verstorbenen Mann Sebastian. Da ruft ihre Nichte Zoe aus Cambridge an, aufgelöst und in Schock, denn ihre beste Freundin ist auf dem Campus ermordet worden. Mariana eilt ihrer einzigen Verwandten zu Hilfe und findet sich an ihrer einstigen Universität und all ihrer Erinnerungen wieder. Ebenso gerät sie in ein komplexes Netz aus Lügen, Intrigen, Mord und Misstrauen und schon bald geschieht ein neuer Mord ...


    Ein sehr interessantes Buch, die Narrative spielt mit dem Leser, genau wie mit Mariana selbst. Mariana ist ein unglaublich komplexer Charakter, mit Schwächen und Obsessionen, getrieben von einem starken Sinn für Gerechtigkeit aber nicht vor Fehlern und impulsiven Aktionen gefeit. Ihre Arbeit als Psychologin und der Umgang mit ihren Patienten ist sehr aufschlussreich und gibt Einblicke in ihre Psyche. Ihre Gefühlswelt ist glaubhaft und als Leser fängt man ebenso an, allem und jedem zu misstrauen. Mich hat die Raterei wer der Mörder wirklich ist, plus die ganzen Sachen, die nebenher noch irgendwie liefen, gut bei Laune gehalten. Das Element der griechischen Mythologie war jetzt nicht so meins, da hätten mich ein paar mehr Seiten über den Maidens-Geheimbund und dessen Dynamik interessiert.

    Colin Walsh – Kala


    Im November 2003 verschwindet die 15jährige Katherine "Kala" Lanann spurlos aus ihrer kleinen Heimatstadt Kinlough an der irischen Westküste. Ihr Verschwinden reißt ein großes Loch in ihre enge Freundesgruppe. Einst zu sechst, treffen sich in 2018 drei der sich mittlerweile entfremdeten ehemaligen Freunde wieder. Da ist Helen, die für die Heirat ihrer Mutter einige Tage nach Kinlough zurückkehrt, Joe, weltbekannter Musiker, ist in der Festivalwoche für einige Gigs in der Stadt und dann noch Mush, der Kinlough nie verlassen hat und im Café seiner Mutter hilft. Als die drei sich, durch den großen gemeinsamen Verlust verbunden, wieder annähern, werden menschliche Überreste in den nahen Wäldern gefunden. Besonders Helen setzt nun alles daran, herauszufinden was mit Kala wirklich geschehen ist und fängt an, unangenehme Fragen zu stellen...


    Das Buch ist aus den Perspektiven der drei Hauptcharaktere erzählt und in den jeweiligen Charakterkapiteln gibt es häufig zwei Zeitleisten, einmal das Jetzt und dann häufig nahtlose Erinnerungen aus 2003. Die Kapitel bauen aufeinander auf, die eigentliche Geschichte im Jetzt umfasst nur 5 Tage, beginnt an einem Freitag und endet mit Dienstag, man ist nah bei den Charakteren, erfährt z. B. etwas aus Joe's Perspektive, der mit Helen unterwegs ist und im nächsten Kapitel erzählt Helen weiter, wie die Dinge sich mit Joe entwickeln. Das alles passiert sehr flüssig und kreiert einen interessanten Spannungsbogen.


    Ich fand die Ausarbeitung der Charaktere besonders gut, die sechs Freunde waren glaubhaft, auch die Dynamik in solchen Gruppen in dem Teenageralter, ebenso die unsympathischen Charaktere, ich wusste gleich wen ich nicht mochte :denker: Für Krimi-Leser ist das Buch sicher kein großer neuer Wurf, so ein paar Dinge kann man sich relativ früh schon denken, aber dennoch fragt man sich, wie alles zusammenhängt. Ich fand es sehr spannend und unterhaltsam.


    Es gibt einige Content-Warnings für dieses Buch, dessen sollte man sich durchaus bewusst sein. Gerade wenn man mit Tierquälerei (speziell Hunde) ein Problem hat.

    Alex Hyde – Violets


    Die Geschichte zweier Frauen mit dem Namen Violet in den letzten Tagen des zweiten Weltkrieges. Die Eine ihren Mann verabschiedend zum Einberufungsbefehl, die andere sich freiwillig meldend, um in der Frauenhilfsluftwaffe des Vereinigten Königreichs zu dienen. Beide Geschichten könnten unterschiedlicher nicht sein, doch die Entscheidungen und Entbehrungen der Frauen im Angesicht des Krieges lassen sie sich immer weiter annähern.


    Eine wunderschöne poetische, traurige und doch oft unbeschwerte Geschichte über die Frauen des Krieges und der Zeit. Die Stigmata der unehelichen Kinder von Soldaten und Frauen ohne Männer. Der Roman erforscht Themen wie Widerstandsfähigkeit, gesellschaftliche Erwartungen und die gemeinsamen Kämpfe von Frauen in schwierigen Situationen. Durch die doppelte Erzählperspektive ergibt sich eine interessante Narrative im Hinblick auf Stärke, Solidarität und Durchhaltevermögen der Frauen in einer der schwierigsten Zeiten der Geschichte. Das Ende ist sehr rührend und hoffnungsvoll.

    Jess Kidd – The Hoarder / Heilige und andere Tote


    "Bridlemere – ein herrschaftliches Anwesen im Westen Londons, das seine besten Tage bereits gesehen hat. Hier haust mutterseelenallein Cathal Flood. Einst Antiquitäten- und Kuriositätenhändler, ist er längst zu einem Messie verkommen. Sein Sohn hofft, ihn auf Dauer in ein Altenheim verfrachten zu können. Die Neueste in der endlosen Reihe erfolgloser und unterbezahlter Sozialarbeiter, die Cathal nun zur Räson bringen soll, ist Maud Drennan. Unter den wüsten Beschimpfungen des Alten zieht sie beherzt gegen Dreck und Müll zu Felde. Doch trotz aller Unerschrockenheit ist ihr Bridlemere unheimlich. Überall im Haus scheinen verschlüsselte Botschaften zu warten. Wie das Foto von zwei Kindern, auf dem das Gesicht des Mädchens weggebrannt ist. Hat Flood eine Tochter? Wieso weiß niemand von ihr? Und warum hasst er seinen Sohn so sehr? Auch der Tod seiner Frau gibt Fragen über Fragen auf. Maud würde am liebsten alle bedrückenden Hinweise ignorieren. Doch ihre leicht bizarre Vermieterin Renata, die für ihr Leben gern Detektivin spielt, und eine Horde marodierender Heiliger, die nur Maud sehen kann, wittern längst ein Verbrechen."


    Herrliche und urkomische Magical Realism Mystery, fantastische Charaktere, wunderbare Trans-Rep und eine komplexe, dunkle, sich langsam aufschlüsselnde, Krimigeschichte mit einigen Twists. Ich hab es sehr genossen, ich mag die irische Literatur und ihre fluchenden Charaktere halt sehr :D Ich glaube ich habe in Jess Kidd eine neue Lieblingsautorin gefunden.

    Ichiro Kishimi und Fumitake Koga – Du musst nicht von allen gemocht werden

    Das Buch basiert auf den Ideen der Individualpsychologie von Alfred Adler und ist in fünf Nächte unterteilt, in denen ein junger Skeptiker einen älteren Philosophen besucht und mit ihm die Frage klären will, wie man ein erfülltes Leben führen kann. Die Kernthemen sind Selbstbestimmung, Gemeinschaftsgefühl, Aufgabentrennung, Leben in der Gegenwart und schließlich Mut zur Unvollkommenheit. Das zwanglose Gespräch der beiden Protagonisten hat für mich den Zugang zu diesem Thema auf jeden Fall erleichtert, obwohl ich die Übersetzung des Jüngeren häufig als sehr gestelzt empfand. Evtl. war das Absicht, der ältere Philosoph war wesentlich entspannter und verzeihender als der, noch von äußeren Einflüssen eingeengte, junge Mann. Für mich schwimmt das Buch dennoch eher an der Oberfläche seiner komplexen Themen, sooo tiefgreifend ist es nicht, es gibt aber interessante Denkanstöße.


    Frans de Waal – Der Mensch, der Bonobo und die Zehn Gebote

    Ein Sachbuch, das die Ursprünge von Moral und Ethik untersucht. De Waal, renommierter Primatologe und Ethologe, argumentiert, dass die Grundlagen moralischen Verhaltens in der Tierwelt, insbesondere bei Menschenaffen wie Bonobos und Schimpansen, zu finden sind. Er widerlegt die Ansicht, dass Moral und Ethik ausschließlich menschliche Konstrukte sind und zeigt, dass Tiere ebenfalls über Empathie, Kooperation und soziale Normen verfügen. Durch zahlreiche Beispiele und wissenschaftliche Studien veranschaulicht er, dass moralisches Verhalten tief in unserer biologischen Natur verwurzelt ist.


    Waal vertritt einen differenzierten Standpunkt zum Thema Religion, was ich ihm sehr zugutehalte. Er erkennt die wichtige Rolle an, die Religionen in der menschlichen Gesellschaft spielen, insbesondere in Bezug auf die Vermittlung und Verstärkung moralischer Werte und sozialer Normen. Er argumentiert jedoch, dass Moral und ethisches Verhalten tief in der menschlichen Natur verankert sind und nicht ausschließlich auf religiöse Lehren zurückzuführen sind.


    Kernthemen hier sind:

    • Ursprünge von Moral und Ethik aus einer evolutionären Perspektive
    • Beobachtungen von altruistischem und kooperativem Verhalten bei Primaten
    • Rolle von Empathie bei der Entwicklung von moralischen Verhaltensweisen
    • Moral unabhängig von religiösem Glauben
    • Weiterentwicklung der Moral durch menschliche Kultur und Gesellschaft
    • Rolle der Religion bei der Entwicklung und Verstärkung von moralischen Werten
    • Reflexion über die natürlichen und kulturellen Ursprünge der Moral
    • Bewältigung von aktuellen und zukünftige ethischen Herausforderungen

    Für mich war das Buch als "Primaten-Uninteressierte" (trotzdem) sehr spannend und aufschlussreich! Es gibt natürlich auch Verweise zu anderen Tierarten, u. a. Caniden, sowie auch Diskussionen zu Bekoff, Skinner und Pavlov. Auch wenn das Buch (in deutsch) 2015 erschienen ist, ist es immer noch sehr aktuell.


    Padrika Tarrant – Broken Things

    Eine Kurzgeschichtensammlung, sehr düster, oft surrealistisch aber nicht überzogen, mit einem poetischen Schreibstil.

    Die Geschichten sind thematisch miteinander verbunden und konzentrieren sich auf verschiedene Aspekte von Zerbrechlichkeit, Verlust und Isolation. Die Stimmung ist melancholisch und oft verstörend, man fühlt immer, dass irgendwas nicht ganz richtig ist. In scheinbar normalen täglichen Situationen treten surreale, makabre Erscheinungen zutage und lassen einen "schönen Tag zu einem Albtraum" werden. Ich habe es mehr gemocht als ich gedacht hätte, gerade wegen der ruhigen, dunklen Natur und der ungekünstelten, poetischen Prosa.

    Naoise Dolan – Exciting Times / Aufregende Zeiten


    "Ava ist 22 und hat keine Ahnung, was sie mit ihrem Leben anstellen soll. Erst mal weg aus Irland und als Englischlehrerin nach Hongkong. Dort trifft sie Julian, einen Banker, der gern Geld ausgibt. Plötzlich wohnt sie in seinem Gästezimmer, trinkt Clos Vougeot, spricht über Aktienkurse, hat Sex. Meist vermeidet sie die Frage, ob es sie vielleicht zu einer schlechten Feministin macht, dass er alles für sie zahlt, sogar als er für einige Zeit verreist. In seiner Abwesenheit tritt Edith auf den Plan. Edith, die Ava zuhört, wenn sie spricht, ihr Freesien und Tulpen schenkt. Doch dann kehrt Julian unerwartet nach Hongkong zurück …"


    Hierzu kann ich nur schreiben, wer Sally Rooney mag, wird Naoise Dolan ebenso gut finden. Mich hat Exciting Times schon sehr an "Schöne Welt, wo bist du" erinnert (gerade auch wegen der gleichen Hörbuch-Sprecherin), aber es gibt deutlich weniger politische (E-Mail)Monologe. Ava stammt aus Irland, Julian aus dem Vereinigten Königreich, Edith aus Hong Kong, Herkunft, Klasse, Reichtum und Sprache sind tägliche Themen. Besonders interessant fand ich die Einblicke in die Formen der modernen Liebe und Sexualität, gerade bei so unterschiedlichen Charakteren mit so unterschiedlichen Lebenswegen.

    Ja, sehr! Ich hatte anfangs Probleme reinzukommen und hab echt lange fürs Durchlesen gebraucht. Aber die teils saulustige Prosa hat mir auf jeden Fall das unangenehme Thema "leichter erträglich" gemacht. Humbert ist auch durch und durch ein unzuverlässiger Erzähler.