„Mist, wo bin ich hier? Überall diese riesigen, schrecklich lauten Dinger, die an einem vorbeirauschen. Ich weiß gar nicht, wo ich hin soll oder wo ich herkomme. Ich hab völlig die Orientierung verloren. Da waren doch eben noch Menschen, wo sind sie hin? Ich wollte doch nur mal auf dem Feld schnuppern gehen, und plötzlich war mein Halsband ab, und die Spur war so verlockend… Und jetzt renn ich hier schon seit Stunden rum und weiß gar nicht, was ich machen soll. Es ist kalt, es wird bald dunkel, und ich hab Hunger. Hilfe, was ist das? Ich sitz in der Falle. Wieso ist hier plötzlich ein Zaun, geradeaus, rechts und links geht nicht, ok, also zurück. Huch, da kommt ein großer Hund direkt auf mich zu. Hiiiiiiilfeeeee, der will mich fressen, das ist mein Todesurteil. - Nanu, ich lebe ja noch! Oh, es ist ein Mädchen, und die will nur spielen, Glück gehabt. Aber sei vorsichtig, ja? Ich bin viel kleiner als Du. Ooops, da ist ja auch noch ein Mensch, die ist ja gar nicht alleine. Hm, kann ich der trauen? Sie steht nur da und beobachtet uns – egal, weiterspielen, ist doch gerade so lustig. Aaaah, Hiiilfeeee, sie hat mich geschnappt, und jetzt hab ich keinen Boden mehr unter den Füßen. Aber sie hält mich fest, ok, ich fall nicht runter. Mal schnell die Lage checken – ja das Schäfermädel ist noch da und läuft mit uns mit. OK, wenn die freiwillig mitkommt, kann es so schlimm nicht werden. Ey, ich hab keine Angst, ich zitter nur vor Kälte! Die spinnt ja wohl, erzählt mir, ich soll keine Angst haben. Ich und Angst – Mensch, ich bin ein Jack Russell, die haben keine Angst!“
Tja, so ähnlich begann sie, die Geschichte von Teddy, der orientierungslos direkt an der Bundesstraße entlanglief. Mein Mann hatte ihn das erste Mal gegen 15:30 Uhr gesehen, bzw. etwas Weißes mit schwarzen Flecken, und er dachte erst, es wäre unser Kater und wunderte sich, dass er so weit von zu Hause weg war. Gegen 18 Uhr, wir waren gerade damit beschäftigt, den Weidezaun zu reparieren, sah er ihn wieder. Er rannte in unsere Richtung, und wir konnten sehen, dass es ein Jack Russell war. Er entschied sich dann aber doch, wieder die Richtung zu wechseln, und rannte wieder näher zur Bundesstraße. Ich hab meinen Mann und den Weidezaun einfach links liegen gelassen und bin mit Luna im Schlepptau gucken gegangen. In der Nähe der Bundesstraße stehen ein paar Gewächshäuser, und eines davon war vor Kurzem abgerissen worden, dort ist nur noch eine Betonplatte und zu drei Seiten ein Zaun. Dort saß der kleine Kerl völlig verängstigt in einer Ecke. Auf meine Anwesenheit reagierte er recht panisch, also habe ich Luna vorgeschickt, und die beiden haben recht schnell angefangen, miteinander zu spielen. Irgendwann gelang es mir, den Jackie aus dem Spiel heraus zu greifen. Mit dem zitternden Bündel auf dem Arm bin ich dann zurück zu meinem Mann, der alles andere als „amused“ war, dass ich ihn einfach so hab stehen lassen. Trotzdem hat er angefangen, die Nachbarn und Bekannten abzutelefonieren, von denen wir wussten, dass sie Jackies haben. Nein, alle hatten ihre Jackies daheim – also auf zum Tierheim, vielleicht ist er ja gechippt und registriert. Leider hatte er keinen Chip und keine Tätowierung, und unser Angebot, unsere Kontaktdaten dazulassen und den Kleinen erstmal wieder mitzunehmen, nahm man gern an.
So hat der junge Mann die Nacht bei uns verbracht. Wir mussten aber leider abends noch weg, und so hat er die ersten vier Stunden allein mit Luna verbracht. Aber bis auf ein Häufchen und zwei kleine Seen ist weiter nichts passiert, das Wohnzimmer stand noch, als wir wiederkamen. Im Schlafzimmer kam er dann aber auch recht schnell zur Ruhe und hat auf einer Decke vor Lunas Korb geschlafen. Am Vormittag hat er nach der ersten Gassirunde auch was gefressen, und irgendwann kam er sogar mal zur Ruhe und hat bei mir auf dem Sofa geschlafen.
Gestern Nachmittag kam uns dann die Idee, mal auf der anderen Seite der Bundesstraße auf einem Reiterhof nachzufragen, ob der Hund dort bekannt ist. Dort trafen wir an einer Weide eine Bekannte, der wir die Geschichte erzählten, aber nee, dort auf dem Reiterhof hätte sie den Hund noch nie gesehen. Aber eine Straße weiter wäre ein Haus, dort hätte sie schon ein paar Mal Jackies laufen sehen. Also haben wir uns mit den Hunden weiter auf den Weg gemacht, um dort nachzufragen. Plötzlich kam ein Auto von hinten angebraust und hielt an – es war unsere Bekannte. Sie hätte gerade mit eine paar anderen Reitern gesprochen, und einer hätte gehört, dass am „Betreuten Wohnen“ des Altenheims ein Jack Russell entlaufen sein sollte.
Wir sind zurück nach Hause, haben die Hunde ins Auto verfrachtet und uns auf den Weg zum Altenheim gemacht – und sind dort tatsächlich fündig geworden. Teddy war am Samstag frisch bei einem gehbehinderten älteren Ehepaar eingezogen und hatte sich beim ersten Spaziergang direkt aus dem Halsband befreit und das Weite gesucht. Alle Versuche, ihn wieder einzufangen, misslangen. Und so rannte der kleine Kerl orientierungslos durch die Gegend – er kannte sich hier ja überhaupt noch nicht aus. Die beiden waren so happy, ihren kleinen Teddy wiederzuhaben. Unter Tränen haben sie uns Kaffee angeboten, den wir ablehnten, weil wir Luna nicht so lang allein im Auto lassen wollten, und uns genötigt, wenigstens etwas Geld für unsere Mühen anzunehmen. Nachdem ich dreimal abgelehnt hatte, hab ich es dann doch genommen, weil ich gemerkt habe, dass es der Frau so wichtig war. Tja, und Teddy? Teddy stand immer wieder aufrecht an meinem Bein, als wenn er sagen wollte…
„Ey, was soll ich hier? Ich hab mich doch gerade an Dich gewöhnt, Du willst mich doch jetzt nicht hierlassen oder? Hey, das kannst Du nicht machen! Hallo! Geh doch nicht weg…“
Armer kleiner Kerl. So sehr ich mich für die beiden freue, dass sie ihren Hund wiederhaben, ich hab trotzdem ein wenig Bauchschmerzen. Ob sie wohl wissen, was sie sich da ins Haus geholt haben? Ein Jack Russell ist nun mal kein Schoßhund. Und Teddy ist noch sehr jung, vielleicht 1 ½ bis 2 Jahre, der hat noch richtig Pfeffer im Hintern… Aber die Vorbesitzer scheinen eh etwas merkwürdig zu sein. Der neue Besitzer erzählte mir, dass die Vorbesitzer nichts davon halten würden, Hunde zu chippen, deshalb hätte Teddy auch keinen Chip. Ich habe den beiden dringend geraten, das nachzuholen und ihn registrieren zu lassen, denn dass sie ihn dieses Mal zurückbekommen haben, war wirklich reines Glück. Und ich bin mir sicher, dass der noch öfter auf Erkundungstouren gehen wird… :/