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So, nun komme ich (endlich) zu unseren Problemen.
Zuerst dachten wir, es gäbe keine Probleme und dann trafen wir beim Gassi gehen auf einen anderen Rüden, wo er dann ausgetickt ist und sich kaum bändigen liess.
Das macht er auch immer noch, entweder sofort, wenn er den anderen aus ein paar hundert Metern Entfernung sieht, oder kurz schnüffeln und dann sofort los pöbeln.
Bei Hundedamen passiert nichts, rein gar nichts, er läuft einfach an ihnen vorbei.
Da würde ich zunächst versuchen, das "Problem" noch ein wenig mehr einzugrenzen. Sind es nur Rüden, die größer, kleiner sind als Beaco? Bestimmte Farben? Tun sie etwas bestimmtes, in dem Moment, in dem er sie wahr nimmt? Oder sind es grundsätzlich ALLE Rüden? Wie genau verhält er sich beim Beschnüffeln? Findet dies an der Leine statt? Grundsätzlich würde ich versuchen, Kontakt mit verträglichen Rüden unter optimalen Bedingungen zu üben - also am besten in gesichertem Gelände, mit einem wirklich netten Rüden, der eine relativ hohe Toleranzschwelle hat, was das Pöbeln angeht und der sich auch anstandslos von seinem Halter abrufen läßt, um eine für Beaco erträgliche Distanz herzustellen.
Man weiß halt nicht, wie Beaco aufgewachsen ist. Und ob und wie er den Umgang mit anderen Hunden gelernt hat.
Das nächste Problem sind Geräusche.
Geräusche im Fernsehen, hat sich aber auch schon gebessert.
Sobald ein komisches Geräusch zu hören ist, läuft er zur Tür, bellt und knurrt.
Das schlimme ist, dass er dann nicht mehr aufhört.
Ich weiss auch nicht, wie ich ihn beruhigen soll, ohne ihn irgendwie falsch zu bestätigen.
So ist es eben auch, wenn er Geräusche von draußen hört, jedenfalls die, die er nicht kennt.
Auch wenn er im Garten ist und ein Hund bellt in weiter Ferne, dann wird an irgendeine Hecke gerannt und geknurrt und gebellt.
Oder wenn die Kinder in Nachbars Garten schreien….
Auch da weiß man einfach nicht, was Beaco alles in seiner Welpenzeit kennen lernen durfte. Deshalb würde ich erst einmal davon ausgehen, dass ihn ein großer Teil dieser Gräusche einfach verunsichert und dass er Bellen und Knurren als eigene Strategie für sich entwickelt hat, weil er irgendwann mal durch Zufall erfahren hat, dass manche Geräusche oder Menschen beim Bellen und Knurren weniger werden, bzw. zurückweichen.
Ihm fehlt zum einen die Sicherheit, Geräusche, Menschen, Situationen richtig einzuschätzen (nämlich in 99,9% der Fälle als harmlos) und ihm fehlt eine Handlungsalternative, wie er mit solchen Geräuschen, Menschen, Situationen umgehen soll.
Bei vielen Geräuschen wird einfach die Zeit ihr übriges tun - im Sinne eines Gewöhnungseffektes. Dennoch braucht Beaco ein wenig Hilfestellung. Z. B. bei neuen Geräuschen draußen bei denen er anschlägt, ist es hilfreich, wenn Du ihm klar machen kannst, dass dieses Geräusch für Euch unwichtig ist. Wenn er zur Tür läuft und bellt, gehst Du auch zur Tür, öffnest diese kurz, schaust raus, sagst in absolut abwertendem Tonfall "Ach, das ist nichts" und führst ihn wieder an seinen Platz. Beaco lernt da raus, dass a) DU Dich kümmerst, b) DU dieses Geräusch für unbedeutend hälst und c) er sich beruhigt wieder auf seinen Platz legen kann. Das macht man gefühlt ca. 30.000 Mal, bis man endlich den Eindruck hat, dass irgendwas beim Hund ankommt - aber die Mühe am Anfang lohnt sich, der Hund wird sicherer, weil Du ihm aktiv dabei hilfst, die Geräusche einzuschätzen, weil Du ihm zeigst, wie er sich verhalten soll und weil er sich gar nicht mehr um alles "kümmern" muss.
Irgendwann genügt es, wenn Du nur noch "Ach, das ist nix für uns" sagst.
Das gleiche macht er auch bei Gegenständen, mal ist es ein grosser Stein, mal eine Mülltonne.
Manchmal macht er es auch bei den Pferden auf der Koppel, obwohl er jeden Tag an ihnen vorbei läuft.
Mal so, mal so, irgendwie.
Fahrradfahrer oder Fußgänger interessieren ihn eigentlich auch nicht, eigentlich, denn auch die werden gelegentlich angepöbelt, obwohl es meist dieselben sind.
Besonders blöd ist das natürlich, wenn es Kinder sind, die wir oft treffen, wenn sie mit dem Rad zur Schule fahren.
Auch bei Gegenständen hilft ihm DEINE Bewertung weiter - ich tendiere mittlerweile immer weniger dahin, unserer Doba alles bis ins Letzte zu zeigen - das habe ich anfangs bis zum "Erbrechen" gemacht, so dass sie eine grundsätzliche Vorstellung davon hat, dass Dinge untersucht werden können und bisher alle harmlos waren - seit einiger Zeit belege ich auch angstmachende Gegenstände mit einem Kommentar meinerseits in wegwerfenden Tonfall und fordere sie einfach nur zum Weitergehen auf. Wenn sie sich selbst auf die Socken macht, um etwas in Augenschein zu nehmen, wird sie dafür verbal gelobt.
Wenn vermeintlich ähnliche Situationen doch zu unterschiedlichen Reaktionen bei Beaco führen, wird irgendetwas in diesem Moment anders sein - die radfahrenden Kinder z. B. können problemlos sein, wenn sie seitlich an Euch vorbeifahren, aber es kann einen großen Unterschied machen, ob sie von vorne auf Euch zu kommen. Versuch mal, solche Momente mehr aufzudröseln... Vielleicht findest Du ja die Knackpunkte. Und die kann man dann gezielter üben, indem man sich, beim Kinder-Beispiel bleibend, in eine andere Position bringt, damit nichts mehr so frontal auf Euch zu kommt, etc.
Gleichzeitig solltest Du versuchen, das Wörtchen "nein" zu etablieren. Für mich ist das Nein ein "präventives Abbruchkommando" - soll heißen, ich beobachte meinen Hund so genau, dass ich sehen kann, was er im nächsten Moment vorhat - z. B. das Bellen und Pöbeln ansetzen... Dann kommt das Nein, damit hund weiß, dass sein geplantes Verhalten unerwünscht ist und dann - und das ist mit das Wichtigste - kommt eine Handlungsalternative für den Hund. Er wird also nach dem Nein nicht "im Stich" gelassen, sondern bekommt mitgeteilt, was stattdessen von ihm erwartet wird. Das wird natürlich je nach Situation entschieden. Bei den radfahrenden Kindern könnte das ein Sitz sein.
Er macht es auch, wenn z. B. mein Bruder was bastelt und ein Gerät in der Hand hält, wie Bohrer o.ä., nicht wegen dem Geräusch sondern wegen dem Gegenstand, er projiziert es dann aber immer auf die Person und geht denjenigen an, mit Knurren und Bellen.
Hunde haben eine andere Wahrnehmung als Menschen.
Ein Hund sieht nicht, dass Dein Bruder was in der Hand hält, sondern sieht nur, dass Dein Bruder plötzlich eine komische Hand hat, die vielleicht noch seltsame Geräusche hat - Hunde nehmen die Sillhouette eines Menschen wahr und da hat sich plötzlich was geändert, wenn der Mensch z. B. einen Gegenstand in der Hand hat, oder einen Hut oder eine Kapuze auf hat. In großen Teilen ist auch das eine Frage der Gewöhnung. Für Beaco hat sich Dein Bruder plötzlich verändert, das macht ihn in solchen Momenten unsicher. Variante 1 ist, dass Dein Bruder den Schrauber weglegt, damit Beaco den "normalen" Bruder wieder erkennen kann. Oder daß Beaco aus größerer Distanz an solche Situationen herangeführt wird. Also dem schraubenden Bruder mit angeleinten Beaco aus z. B. 10 Metern Entfernung beim Arbeiten zugucken.
Sobald Besuch auf den Hof kommt, den er nicht kennt, passiert dasselbe. (Ich habe deshalb bis jetzt auch noch keinen Besuch wieder in meine Wohnung gelassen).
Jetzt keinen Besuch mehr zu kriegen, löst das Problem nicht, klar. Aber manchmal ist die Meide-Taktik solange gut, bis man einen Plan hat, wie man mit solchen Situationen umgeht. Ich würde die Besuchssituation in kleinen Schritten üben. Möglichst mit zwei Menschen. Der eine empfängt den Besuch, der andere leint Beaco beim Klingeln an, führt ihn zu seinem Platz und sagt ein beherztes "Platz". Sobald der Hund eine Nanosekunde ruhig ist, kommt der Besuch rein, wird an der Tür begrüßt. Und derjenige, der Beaco hält, sagt 31Mal im bestimmten, aber ruhigen Ton Platz, wenn Beaco 30 Mal wieder aufsteht... Das ist reine Nervensache... Man sagt das Platz immer in einem Ton, als wäre es das erste Mal.... Freundlcih aber bestimmt und großes Lob bei jedem Hinlegen. Bei jedem Aufstehen ein bestimmtes Nein und dann wieder ein freundliches Platz - als hätte man die nächsten drei Wochen nichts Besseres zu tun...
Ruhig, geduldig, freundlich, konsequent, bestimmt.
Wenn Beaco mal ein paar Sekunden am Stück liegen bleibt, geht der Besuch wieder....
Und das Ganze übt man einige Male (wofür die Helfer sich ne große Pizza verdient haben!) - irgendwann wird Beaco nur noch drei mal ins Platz gebeten werden müssen... Dann kommt der Besuch auch rein, wird vom Helfer zur Couch geleitet und weiter gehts mit üben.
Wichtig ist - dass der Besucher Beaco einfach ignoriert, ihn nicht anstarrt, nicht auf ihn zugeht, nicht mit ihm spricht...
Ebenso wichtig ist, dass man sich durch das anfänglich sich sogar noch steigernde Bellen nicht beeindrucken läßt....Das hört entweder demnächst von selbst auf (wenn Beaco weiß, was von ihm erwartet wird, wenn Besuch kommt) oder wird, wenn die Besuchssituation sich allmählich entspannt, dann noch gezielt angegangen..
Beaco soll zweierlei lernen dürfen - dass Besucher nichts sind, worum er sich kümmern müßte und, dass Besucher ihn nicht bedrängen, sondern komplett ignorieren.
Die freundliche Annäherung an Besucher kommt später, wenn die ersten Übungen sitzen.
Beim Gassi gehen ist das Problem leichter zu handhaben, da lässt er sich leichter ablenken und wir gehen dann einfach weiter.
Aber wenn er sich auf eine Person oder Gegenstand „eingeschossen“ hat, dann bleibt mir nichts anderes übrig, als ihn weg zu zerren, und dann dauert es relativ lange bis er sich wieder beruhigt. Er dreht sich beim Weggehen immer wieder um und auch in der Wohnung knurrt er dann manchmal noch.
Ich könnte mir vorstellen, dass er der Situation dann zu lange ausgesetzt war - wobei "lang" jetzt ein sehr relativer Begriff ist. Bei verunsichernden Situationen kann man an drei verschiedenen Punkten ansetzen - nacheinander, aber auch gleichzeitig: an der Intensität des Reizes, an der Dauer des Reizes und an der Distanz zum Reiz. Statt drei radfahrenden Kindern erst mal EIN radfahrendes Kind, statt 5 Meter Abstand, 15 Meter Abstand, statt 10 Minuten, EINE Minute.... Ich würde versuchen, ihn sich gar nicht erst "einschießen" zu lassen, sondern die Situation vorher schon zu entschärfen - beim ersten Zögern/Ansatz des Hundes, ein paar Meter Abstand mehr, z. B......
Ich will ihm ja nicht das Bellen verbieten, natürlich kann er bellen, wenn ihm etwas komisch vorkommt.
Aber er hört einfach nicht wieder auf und dieses ständige Knurren macht mir Gedanken.
Versuch mal, dieses Knurren nicht als primär aggressives Verhalten zu sehen, sondern als Alarmstufe Rot in Sachen Überforderung. Das Knurren in Momenten, die den Hund verunsichern, bedeutet in erster Linie eines "bis hierhin und nicht weiter, ich weiß mir sonst nicht anders zu helfen, als abzuschnappen"
Das sollte für Dich ein Signal dafür sein, den Hund SOFORT aus dieser Situation rauszuholen. Abstand zum Angstauslöser zu gewinnen.
Ich bin mir sicher, dass auch unsere Doba zugeschnappt hätte, wenn wir sie nicht aus Besucher-Situationen, in denen die Besucher weiter auf den Hund zugehen wollten, "erlöst" hätten - wenn der Hund nicht weiterweiß in einem Moment der Angst und weiter bedrängt wird, folgt als nächstes das Abschnappen... Da bist Du in der Pflicht, Beaco zu helfen.
Prinzipiell gibt es zu dauerbellenden Hunden die Theorie, dass durch dieses Dauer-Gebell Endorphine ausgeschüttet werden, die dem Hund helfen, die angstauslösenden Momente zu erleichtern - das kann zum Selbstläufer mit Suchtfaktor werden, wenn man da keine Abhilfe schafft. Sobald Beaco aber gelernt hat, mit Deiner Hilfe, die Geräusche, Situationen besser einzuschätzen, wird das mit dem Bellen allmählich besser.
In ester Linie sind alle Eure Baustellen auf ein Grundproblem zurückzuführen - die Unsicherheit Beacos.
Je mehr Sicherheit Du ihm vermitteln kannst, je festere Grenzen und Regeln Du aufstellst, an denen sich Beaco orientieren kann, je selbstsicherer Du selbst wirst, desto besser werdet Ihr da rauskommen. Gerade in der Anfangszeit hat man den Eindruck "Das wird nie was", weil sich die Probleme von allen Seiten über einem auftürmen - aber sobald die Grundstruktur da ist - mehr Selbstsicherheit bei Beaco - werden sich viele Eurer Probleme fast schlagartig in Luft auflösen...
Hab ein wenig Geduld mit Euch beiden, arbeite ruhig und konsequent weiter und dann stellen sich auch demnächst die ersten Erfolge ein!
LG, Chris