Und wieder hallo Apollo,
Ihr habt mit Eurer wohnlichen Lage einen sehr großen Vorteil - nämlich den, dass Ihr das Umwelttraining ganz dosiert durchführen könnt, denn Ihr habt ja die Wahl, welche "Dosis" an Menschenleben Ihr dem kleinen Hermes präsentieren wollt.
Ich würde zwei "Arbeitsschienen" vorschlagen: Immer dann, wenn es darum geht, Hermes einer Portion neuen Dingen auszusetzen (Besuche in der Stadt), würde ich jetzt erst mal für einige Zeit die größere Hündin mitnehmen - die scheint ja recht souverän zu sein, auch wenn sie selbst noch ein Junghund ist und hilft Euch, Hermes den Eindruck zu vermitteln, dass das alles ok ist.... Übungen mit Hermes alleine würde ich für einige Zeit in der "ruhigeren" Umgebung der Olivenhaine machen...
Wenn Ihr zum "Stadttraining" aufbrecht, wäre es genial, wenn Ihr die Möglichkeit hättet, Hermes erst mal in einem ruhigen Randbezirk (falls es sowas gibt) da ranzuführen... Und selbst das erst noch in kleinen Zeitportionen...
Denn man kann ja die Umweltreize "häppchenweise" in leicht verdauliche Portionen zerstückeln.... Beim Autotraining z. B. zunächst in größerer Entfernung von der Straße an einer ruhigen Straße nur für einige Minuten und in ganz kleinen Schritten die Dauer des Umweltreizes vergrößern, die Entfernung zum Reiz (Abstand von der Straße) vermindern und die Intensität des Reizes (wenig- oder vielbefahrene Straße) steigern.... Wenn ich einen dieser drei Punkte erschwere, gehe ich dafür bei einem anderen der drei Punkte einen kleinen Schritt zurück... Also, wenn ich z. B. nach ein wenig Üben direkt an der Straße stehen will, nehm ich zunächst eine wenig-befahrene Straße, auch wenn ich mich der vielbefahrenen Straße schon nähern konnte.... Und irgendwann ist man dann in allen drei Punkten am höchsten "Schwierigkeitslevel" angekommen....
Bei einem normalen Welpen kann man da natürlich ein wenig robuster vorgehen - der vertraut seinen Menschen fast automatisch, wenn sie keine eklatanten Fehler machen. Ihr müßt das Vertrauen, das Hermes in seiner wichtigsten Lebensphase verlorengegangen ist, erst in kleinen Schritten aufbauen...
Und dazu gehört auch der Punkt, den ich gestern schon angesprochen habe:
Wie vermittel ich als Mensch meinem Hund Sicherheit?
Indem man selbst ruhig und gelassen ist.
Indem man dem Hund, auch und besonders dem ängstlichen Hund klare Grenzen und Regeln zeigt und diese sanft, aber dennoch bestimmt durchsetzt. (Da bietet sich Euer Couch-Beispiel an - Hermes darf auf die Couch, aber nur, wenn Ihr es ihm erlaubt)
Indem man einem ängstlichen/unsicheren Hund im Moment der Angst ein Alternativverhalten zeigt (einen Hund, der Weglaufen will, weil er es nicht anders gelernt hat, z. B. vormachen, dass man ja auch einen Bogen um etwas machen kann)
Indem man ihm anfangs überdeutlich bewußt macht, dass man seinen Angstauslöser erkannt hat, diesen aber für unbedeutend einschätzt. (Angenommen, irgendetwas fällt um, ein Gartengerät, z. B., Hund erschreckt sich und will in sein Meideverhalten verfallen, dann kann man den "pösen Pesenstiel" ganz betont ansehen, damit Hund das auch mitkriegt, vielleicht auch ein, zwei Schritte drauf zu machen und dann wieder das berühmte "Ach das ist nix" im wegwerfenden Ton sagen und eine fröhliche Aktion (Spielen, Knuddeln) folgen lassen....
Indem man dem Hund anfangs die Verantwortung für die Entscheidung "Gefahr oder nicht?" abnimmt.... Die Betonung liegt auf anfangs, denn wenn man das immer tut, bleibt der Hund in seinem Stadium der anerzogenen Hilflosigkeit gefangen, das wollen wir ja schon gar nicht...
Indem man dem Hund aktiv vormacht, wie man sich den vermeintlichen "Schrecknissen der Welt" annähern kann - langsam und in kleinen Schritten, indem der Mensch sich der über die Wiese wehenden Plastiktüte nähert, sie untersucht und dann vielleicht sogar mit fröhlichen Lauten damit rumspielt....Irgendwann traut der Hund sich dann, näher zu kommen...Und dann wird gelobt, was das Zeug hält...
Indem man den Hund sanft aber bestimmt, auch mal kleine Ängste "aushalten" lernen läßt...
Indem man NIEMALS beruhigend auf den Hund einredet, während er sich ängstlich zeigt...
Indem man nicht, wie so oft vorgeschlagen, die Angst des Hundes ignoriert - dann fühlt er sich erst Recht verantwortlich, schließlich "merkt" der Hundeführer ja noch nicht mal, dass beide aus der Sicht des HUndes gerade in großer Gefahr schweben....
Und das Wichtigste - indem man den Eiertanz schafft, die Ängste seines Hundes für ihn merklich wahrzunehmen, aber durch angemessene Reaktionen darauf, vorzumachen, wie man damit umgeht - trotz des ersten Schrecks als harmlos registrieren und einfach mit dem weitermachen, was man gerade getan hat ODER den Angstauslöser aktiv untersuchen und für harmlos befinden ODER feststellen, dass jetzt ausnahmsweise mal wirklich Angst angebracht ist, weil das bei angreifenden Braunbären recht günstig ist....
Oft sieht man Hunde, die noch Jahre später durch Locken und Lekkerli-vor-die-Nase-halten an Angstauslöser herangeführt werden - das ist nicht das Ziel das wir haben sollten, die "erlernte Hilflosigkeit", wir wollen ja einen Hund, der immer gelassener und souveräner wird - und das kann man als Mensch durch konsequente Hundeführung schneller erreichen, als mit allem Gelocke...
Einen ganz wesentlichen Faktor hast Du selbst schon erwähnt - nämlich einfach die Zeit. Wenn Hermes jetzt allmählich aufnahmebereiter wird, hatte er einfach die Zeit, sich schon mal an einiges zu gewöhnen und auch das ist ein grundlegender Punkt - manchmal ist es hilfreicher, wenn die Hunde nach kurzer Zeit selbst merken, dass alles ok ist.... Und jeder aus eigenem Entschluss gemachte Schritt in Richtung Angstauslöser ist 1000 Mal so viel wert wie ein erzwungener...
Ganz speziell für Hermes ist es jetzt noch wichtig, dass Ihr mal überlegt, ob Hermes tatsächlich auch tagsüber mal richtig zur Ruhe kommen kann - ein spielfreudiger Mit-Junghund kann da schon mal ein zu großer Reiz sein. Eine gesunde Mischung aus Spielen, Toben und Lernen, aber eben auch ganz betonten Ruhe-Phasen kann schon Wunder wirken, um den Streßpegel runter zu fahren. Und zum Abbau der Steß/Angsthormone sollte nach jeder "aufregenden" Übung eine kurze Tobe-Einheit folgen, die hilft, die Hormone durch Bewegung abzubauen.
Und wieder so verflixt viel geworden...
HTH, Chris