Was ist ein "schlechtes Gewissen"?
Setzt das nicht zwei Elemente voraus, nämlich einmal ein "Gewissen" (also die Möglichkeit, das eigene Verhalten an einem moralisch-ethischen Maßstab zu bemessen) und zum Zweiten ein stabiles Gut-Böse-Schema?
Ich behaupte, dass das "Gewissen" eines Hundes völlig anders funktioniert als das eines Menschen. Ich behaupte auch, dass das "Gewissen" vieler Menschen nicht so funktioniert, wie der "edle Christ" (statt "Christ" bitte einen beliebigen anderen Begriff einsetzen, der für "ethisches Allwissen" stehen kann) sich das in seinen feuchtesten Träumen ausmalt. Ich könnte also sagen: Das Gewissen gibt es nicht, es ist ein theoretisches Konstrukt - oder eben einfach nur die Fähigkeit, Verhalten an Regeln zu messen und in "gut" und "schlecht" zu unterteilen. Im letzteren Fall sollte die Untersuchung einfach sein:
Dass Hunde "Gut" und "Nicht gut" auseinander halten können, halte ich für allgemein anerkannt (Erziehung würde sonst nicht funktionieren). Da Hunde außerdem nachgewiesenerweise sowohl das eigene als auch fremdes (Hunde-)Verhalten an dem erlernten Gut-Böse-Schema messen können (sonst wären Beschwichtigungsgesten unsinnig und selbst binnen-hündische Korrekturen gäbe es nicht), sind sie offenbar in der Lage, Theorie und Praxis miteinander zu vergleichen.
Wenn "Gut" und "Böse" als anerzogene Schemata verstanden werden dürfen (und ich kann mir keine andere Definition vorstellen), fehlt zur Beantwortung der Frage, ob Hunde "ein schlechtes Gewissen haben können", nur der Vergleich, ob Hunde ...
a) sich ihrer Handlung bewusst sind
b) sich des Bewertungsmaßstabs bewusst sind
c) ihre Handlung mit dem Maßstab abgleichen können
d) und das auch tun
a) ist einfach zu beantworten: Da Hunde definitiv geplant handeln (können), müssen sie sich ihres Handelns bewusst sein, sonst stimmt die gängige Definition von "Bewusstsein" nicht. Beispiel für bewusstes Handeln: Meine Emma sieht, dass ihr Bruder Herr Schobert seine heißgeliebte Pferdebürste bewacht. Also geht Emma zum Pferdezaun, um nachzusehen, ob Pferde da sind, die sie verbellen kann, um Schobert abzulenken. Es sind keine Pferde da, also schaut sie zurück, ob die Bürste noch da ist, wo sie nicht sein soll (bei Schobi). Mist.
Sie bellt. Obwohl keine Pferde da sind. Sie stellt sich steif hin, starrt angestrengt in die Fernde und bellt Pferde-Verbell-Bellen. Dann sieht sie sich zu Schobi um, ob der reagiert.
Der döst weiter.
Sie trapst auf ihn zu, wufft leise ("He, aufwachen!"), wetzt zurück zum Zaun und verbellt Wuppies (unsichtbare Knibbelwesen). Endlich reagiert Schobi und trottet zu ihr um nachzusehen, was denn los ist.
Sofort sprintet Emma wie von der Zwille geschossen zu seiner Bürste, legt sich drauf und grinst ihn schadenfroh an.
b) Da Emma grinst, ist sie sich ihres verabscheuungswürdigen Verhaltens bewusst. qed.
Nun gut, akzeptiert: Ich kann nicht beweisen, dass Hunde grinsen können. Warum sollte ein Hund aber bei von uns unerwünschtem Verhalten Beschwichtigungsgesten zeigen, wenn er sich des Unerwünschtseins der Handlung nicht bewusst ist? Erneut: Natürlich darf man das als "Konditionierung" ansehen, dann sind wir Menschen aber auch nicht "bewusst", sondern ebenso nur "konditioniert".
Beispiel: Ich mag es nicht, wenn meine Hunde auf dem Sofa liegen. Wenn ich da bin, schauen mich beide also äußerst Bambi-mäßig mit Dackelblick an und warten, ob ich mich in irgendeiner Weise als hundenett oute. Sollte ich ausnahmsweise mal Tierfreund spielen (was natürlich nur selten vorkommt), rollen sie sich sofort säuberlich in Huskyrollen zusammen, seufzen wohlig und schlecken mir kurz dankbar irgendwelche blanken Hautpartien ab. Bei meiner Frau sieht das anders aus: Da springen sie auf das Sofa, legen sich auf ihren Platz (gemeint ist der Platz meiner Frau) und schauen sie (meine Frau) mitleidig an. Mitunter sitzt meine Frau vorher schon ebenfalls auf ihrem Platz. Das mitleide Anschauen passiert dann also von oben (auf ihr drauf) nach unten.
Hunde wissen aus meiner Beobachtung stets genau, was sie tun und ob das erwünscht oder nicht erwünscht (vulgu "gut" oder "böse") ist. Ich habe niemals einen meiner Hunde "böse" vom Sofa verscheucht. Wir haben da schlichtweg keine Unstimmigkeiten.
c) ist der Knackpunkt. Meiner Meinung nach zeigt jeder Hund, der z.B. "Pfui"-Fressen aufgenommen und bei Ertapptwerden dieses freiwillig ablegt, einen bewussten "Vergleich" zwischen "Erwünscht/Unerwünscht" und eigenem Handeln. Auch gehört für mich jedes vorsichtige Umschauen, ob hund beobachtet wird (hallo, das ist ein RAUBTIER, warum sollte sich ein Raubtier vorsichtig umschauen???), zu einem Vergleich zwischen vorgegebenen externen Werten und eigenem Verhalten.
d) ist dann einfach zu bejahen, wenn c) als gegeben akzeptierbar ist. Jeder jagdtriebige Hund, der bei Wildsichtung NICHT losstürzt, sondern sich hinsetzt und auf Kommandos seines Menschen wartet, ist nicht einfach nur "gut erzogen" (das würde ich für meine Nasen niemals in Anspruch nehmen, dennoch können sie genau dieses Verhalten zeigen), sondern "weiß", wie er sich zu verhalten hat, um vom Mensch für "guter Hund" gehalten zu werden. Auch ohne Lob.
Wäre es so, dass ein Hund - wie die Weltherrschaftsfraktion es ja behauptet - stets nur auf den eigenen Vorteil bedacht wäre, dann wäre ein solches Verhaltung unsinnig. Nun könnte man sagen: Schon ein Leckerli ist ausreichende Weltherrschaft. Bei uns gibt's aber keine Leckerli. Ok, dann ist "Lob" auch Weltherrschaft. Bei uns gibt's wenig Lob, weil meine Nasen auf "Lob" gerne mit "völligem Austicken" reagieren. Ok, dann ist "kein Schimpfen" eben Weltherrschaft (spätestens hier zieht sich eine Augenbraue des Debattanten charakteristisch nach oben). Ich schimpfe mit meinen Hunden sehr, sehr selten, ich mache ihnen das erwünschte Verhalten lieber vor und lasse ihnen - ebenfalls nach Möglichkeit - nur die Option, es mir nachzumachen. Ok, dann ist ... äh ... also ... Hunde streben immer die Weltherrschaft an, das ist nunmal so.
Ja. Klar.
Warum bringt Emma Schobi dann seine Bürste vorbei, legt sie ihm vor die Nase - und legt sich auf ihren Knautschsack, wenn er "traurig" da liegt und mit großen, dunklen Rehblick-Augen nach ihr schielt? Warum bringen meine Hunde freiwillig, ohne jemals dazu "erzogen" worden zu sein, (für uns Menschen gekauftes) FRESSEN nach oben und LEGEN ES IN DIE KÜCHE? Sogar mit Brötchen gefüllte Tüten? Ohne, dass sie dafür "belohnt" werden?
Ok, klar, weil meine Hunde dämlich sind und das mit der Weltherrschaft hintenrum versuchen ... wahrscheinlich hören sie insgeheim meine Internetverbindung ab und installieren Viren auf meinem Mobiltelefon. Oder so.
Kurzer Rede langer Sinn: Wenn man von einem theoretisch überfrachteten, hochgeistigen und womöglich religiös verschmierten "Gewissens"-Begriff abrückt, kommt man wohl nicht umhin, Hunden (und anderen Tieren) sowohl ein "Gewissen" (Bewusstsein) als damit verbunden notwendigerweise auch ein "schlechtes Gewissen" (Bewusstsein für Fehlverhalten) zuzugestehen.
Seuzf. So wird das nichts mit der Weltherrschaft.