So, jetzt schaffe ich es endlich mal wieder, was dazu zu schreiben.
Deine Antwort ist interessant. Du wechselst zum Beispiel hin und her zwischen "Kontrolle", "Trennungsangst" und "Bewachen". Ich deute das mal so, dass du viele verschiedene Meinungen gehört hast, die eben in diese Richtung zielen, du dir aber eigentlich nicht ganz sicher bist, was denn davon nun stimmt. Oder kannst du was konkreteres dazu sagen?
Aus Distanz über das Forum kann man das schwer beurteilen. Da wäre es in der Tat besser, einen Trainer im Hause zu haben, der sich die Gesamtsituation anschaut. Gerade bei dir ist das ein bisschen problematischer, weil ihr eine WG seid, die sich eben anders verhält als die "typische Familie", wie du selber richtig geschrieben hast und zum anderen, weil eure Haus- und Raumaufteilung wohl etwas tricky ist. Wenn ich es richtig verstanden habe, dann habt ihr ein Haus mit 3 Etagen, die nicht durch Türen getrennt sind (was die Sache sehr erleichtern würde). Dein Zimmer ist ganz oben und die Aufenthaltsräume wie zB Küche in der Mitte. Unten ist der Hausflur, der eine Tür direkt nach draussen hat, durch die ein Hund schnell mal entwischen könnte. Soweit richtig?
Für eine korrekte "Gesamtanalyse" (klingt wichtig, ich weiss ;-) ) müsste man nun prüfen, wo die anderen Hunde sich aufhalten, wie sich deine Hündin verhält, wenn alle da sind, wie die anderen mit ihr umgehen, wie ihr zwei Gassi geht undundund. Da das sehr viel ist und ich durch das Posting nicht den DF-Server sprengen möchte, kann ich hier natürlich nur auf einen Teil eingehen. Um es nicht ganz so kompliziert zu machen würde ich dir erstmal die üblichen Standards empfehlen, vielleicht mit ein paar Anpassungen auf deine Situation bezogen.
Zu Hause:
Mein Motto ist immer "Alleine bleiben fängt beim zusammen sein an". Das heisst, dass der erste Schritt der sein sollte, dem Hund Entspannung und Sicherheit zu garantieren, während ihr gemeinsam in der Wohnung seid. Wenn ein Hund nicht 10 Minuten alleine im Wohnzimmer sein kann, während Herrchen in der Küche sitzt, dann wird dieser Hund auch nicht 10 Minuten gänzlich alleine in der Wohnung bleiben können, während Herrchen das Futter "jagt". Daher würde ich a) das alleine bleiben innerhalb der Wohnung üben, b) die "Verfolgung" unterbinden und c) das Kommando "Hinaus" üben, d) Platz zuweisen, e) Aufbruchsignale abtrainieren.
a) da du mit den bisherigen Übungen nur Teilerfolge erzielt hast, würde ich echt bei Null anfangen. Das bedeutet: Hund und du im Zimmer. Du gehst kommentarlos aus dem Zimmer, schliesst die Tür hinter dir, machst sie SOFORT wieder auf und gehst kommentarlos wieder in den Raum. Setzt dich hin nimmst ein Buch oder machst irgendetwas für den Hund uninteressantes. Wichtig ist hierbei, den Hund nicht anzusprechen oder anzusehen. Sie soll ja lernen, dass es wirklich nichts besonderes ist, wenn du aus dem Zimmer gehst. Es ist ein normaler Vorgang, bei dem nichts schlimmes passiert und der keine besondere Aufmerksamkeit verdient. Natürlich beobachtest du deinen Hund aus dem Augenwinkel und prüfst die Reaktion: war sie aufgeregt, ist sie aufgestanden, blieb sie gelangweilt liegen.... Alles Indizien für den weiteren Trainingsablauf.
Das Ganze mehrmals wiederholen und die Zeit deiner Abwesenheit auf Null Sekunden belassen, bis du eine Änderung in ihrem Verhalten feststellst. Das kann nach 2 Tagen sein oder nach 3 Durchgängen oder nach 2 Wochen. Von daher ist mein tipp, dass du einfach nichts von ihr erwartest und ihr die Zeit gibst, die sie braucht.
Wenn du merkst, dass sie entspannter wird, kannst du die Zeit nach oben drehen: aus dem Zimmer, Tür zu, bis 5 zählen, wieder rein. Je gelassener sie ist, desto mehr kannst du mit den Zeiten spielen. Also mal 10 Sekunden, mal 15, mal 2, mal 30 usw. Vielleicht auch mal auf eine Minute gehen. Das kannst du nur individuell vor Ort entscheiden, würde dir aber raten, die Schritte immer recht klein zu halten und nicht linear ansteigen zu lassen.
b) Wenn sie dich ständig verfolgt, dann zieh dir bequeme Schuhe an und lauf gemütlich durch das Haus, ohne ihr Aufmerksamkeit zu schenken. Du gehst einfach hin und her und hoch und runter. Ohne Hast oder irgendeinem Ziel. Hundi soll auch hier lernen, dass wirklich nichts aufregendes passiert und das alles was du so machst arschlangweilig ist. Sie wird irgendwann total genervt sein, dir zu folgen und sich irgendwo ablegen. Anfänglich in strategisch guten Positionen, später dann dort, wo es gemütlich ist.
Du darfst bei deinen Touren auch mal in einem Raum verschwinden und die Tür hinter dir schliessen. Sie wird natürlich davor warten. Wenn du hinauskommst einfach weiter latschen, ohne sie zu loben oder so.
c) Bring ihr bei, dass sie sich auf "Hinaus" (oder einem Wort deiner Wahl) aus dem Raum bewegen soll, in dem du gerade bist. Bei uns ist das sehr praktisch, wenn die Katzen gefüttert werden und Hundi aus der Küche soll. In Menschensprache ausformuliert heisst das Kommando: verlasse diesen Raum und mach da draussen was du willst! Sie kann also vor der (offenen) Tür liegen, rumlaufen, auf ihren Platz gehen, im Flur liegen, Tango tanzen... alles ganz egal. Hauptsache, sie geht aus dem Raum. Das kann man mit einer Handvoll ihrer Lieblingsleckerlies ganz gut üben. An die Tür stellen, ggf. ein Handsignal einführen und zB mit dem Arm in die gewünschte Richtung zeigen, "Hinaus" sagen und 4-5 Leckerlies in den Bereich ausserhalb des Raumes, zB den Flur, werfen. Im Idealfall rennt Hundi zu den Leckerlies und schlabbert sie auf. Da dein Hund natürlich sofort wieder zu dir kommt, kannst du das Ganz wiederholen. Nach und nach variieren und das Kommando so aufbauen, wie ein übliches Signal (würde zuweit gehen, das jetzt bis ins Detail zu erklären). Das "Hinaus" ein freundliches Kommando ist und entsprechend trainiert werden darf, sollte klar sein :-)
d) Deine Hündin sollte eine Hundedecke (oder Korb oder sonstwas) haben, auf dem sie ihre Ruhe hat, auf dem sie sich sicher und entspannt fühlt und auf den sie freiwillig gerne geht, aber auch, wenn du es ihr sagst. Das können auch mehrere Stellen ein, aber es sollte klar sein, dass diese Plätze für SIE sind und nicht zB für die anderen Hunde, spielende Kinder oder Besucher, die sich mal kurz ablegen wollen. Auf diesen Platz sollte sie auf Kommando gehen können, was du ihr beibringen darfst. Auch das ist ein "freundliches" Signal ohne Strenge oder Stress.
e) Wir Menschen haben meistens kleine Rituale, die wir ausführen, bevor wir die Wohnung verlassen. Schuhe anziehen, Jacke an, Schal umwerfen, Tasche umhängen, Schlüssel suchen, Fenster schliessen, Mütze aufsetzen... usw. Unsere Hunde bekommen das ziemlich schnell mit und können anhand unseres Verhalten erkennen, was als nächstes kommt. Ziehe ich meine Schlafanzughose an hat das eine andere Wirkung als die Jeans. Das Sakko ist anders als die wetterfeste Gassijacke, die Joggingschuhe anders als die Chucks usw. Der nächste Part ist also, diese sogenannten "Aufbruchsignale" abzutrainieren. Also: Jacke anziehen und aufs Sofa setzen und wieder langweilige Dinge tun. Schlüssel einstecken und ihn einfach in der Tasche haben, ohne die Wohnung zu verlassen usw. Also mal drauf achten, was du so alles anstellst, bevor du aus der Wohnung gehst. Diese Dinge dann aufgliedern und ausführen aber in der Wohnung bleiben. Hundi lernt: auch wenn der Schlüssel klappert muss das nicht unbedingt mit mir zu tun haben.
Das alles darfst du natürlich je nach Gusto und Trainingsfortschritt kombinieren. Also Übung a kombiniert mit Abbruchsignalen, das Verfolgen mit "auf den Platz" schicken unterbinden usw. Da sind deiner Kreativität keine Grenzen gesetzt. Je mehr unterschiedliche Situationen du deiner Hündin bietest um so sicherer und flexibler wird sie.
Das Weggehen:
Bevor du hier beginnst, musst du entscheiden, wo der Hund sein soll, wenn du nicht da bist. Da das ganze Haus ja nicht zur Verfügung steht, tippe ich auf dein Zimmer. Dürfen andere WGler den Hund zu sich nehmen oder nicht? Kann man durch ein Treppengitter die obere Etage zB so absperren, dass Hundi diese komplett nutzen darf... undundund. Du solltest ziemlich klare Regeln aufstellen und darauf hin arbeiten. Dadurch kannst du es deinem Hund erleichtern, die Situation zu erfassen und durch diese Regeln sicherer zu werden.
Alles was jetzt kommt hat viel mit dem oben genannten Punkt "a" zu tun. Das ist quasi die gleiche Übung, nur eben mit allen oben genannten Faktoren PLUS dem echten weggehen. Daher solltest du hier auch erst ansetzen, wenn die anderen Punkte abgearbeitet sind. Das heisst beispielsweise: wenn du die Übung beginnst, kannst du dir deine Jacke anziehen, ohne das der Hund aufdreht, er geht auf seinen Platz in deinem Zimmer, du schliesst die Tür und gehst die Treppe runter, durch die Eingangstür auf die Strasse. Kommst wieder rein, gehst in dein Zimmer, legst deine Sachen ab und begrüßt deinen Hund. Wenn du wirklich alles geübt hast, ist die "einzige" Neuerung, das Geräusch der Eingangstür. Diese Übung genauso aufbauen wie die andere und langsam steigern. Und bedenke bitte, dass es der Hund sehr genau merkt, ob er alleine ist oder nicht. Sich also leise in den Flur stellen und hören, was passiert, klappt nicht. Auch nicht andere WG-Bewohner, die sich leise verhalten, damit der Hund "denkt" er wäre alleine. So leicht kann man einen Hund nicht veräppeln - der merkt das alles ziemlich genau.
An der Stelle empfehle ich oft Videoaufnahmen vom Hund. So kannst du sehen, ab wann sie nervös wird, wie sie dann reagiert, ob sie sich wieder beruhigt oder was der Auslöser für eine eventuelle Stress-Attacke war. Du kannst dein Training danach ausrichten und die Abwesenheitszeiten entsprechend planen.
Da Hunde sehr situativ lernen und agieren, können untrainierte Veränderungen zu Rückschritten führen. Das ist normal und bedeutet nicht, dass du von vorne anfangen musst. Also nicht frustriert sein und stattdessen tief durchatmen und zwei Trainingsschritte zurück gehen. Vor allem das Leben in der WG könnte da oft "dazwischen" funken. Wenn du zB alles super trainiert hast und die kleine bleibt 20 Minuten super alleine, kann es sein, dass zB ein WG-Gast mit einer besonders lauten Stimme, der gerade in der Küche eine Witz erzählt und 5 Leute um ihn herum lauthals lachen, den Hund aus der Bahn bringen. Klar ist das jetzt etwas konstruiert. Soll dir aber zeigen, dass man bei sensiblen Hunden gerade in der Anfangszeit auf vieles eingehen sollte und viele Dinge nicht berechenbar sind. Bei dir ist es die WG bei anderen vielleicht die Nachbarskinder, die Klingelstreich machen oder ein hupendes Auto. Sei also einfach vorbereitet :-)
Wichtig wäre bei dir zu klären, wie die anderen mit dem Hund umgehen, wenn du nicht da bist. Dürfen sie die Kleine zu sich holen, auch wenn sie kein Theater macht oder lieber nicht? Was machen die anderen Hunde in der Zeit und wie sollen sie reagieren, wenn alles schief läuft und sie in alte Verhaltensmuster zurückfällt, während du unterwegs bist?
Nach Hause kommen:
Manche Menschen können es nicht abwarten, von ihren Vierbeinern stürmisch an der Tür begrüßt zu werden. Andere möchten lieber erstmal ankommen und die Sachen ablegen, bevor sie den Hund begrüßen. Jeder macht das individuell und man kann das tatsächlich entsprechend trainieren. Bei uns ist es so, das unsere Hündin manchmal nicht mal von ihrem Platz aufsteht und stattdessen lieber weiter pennt... manchmal kommt sie an und sagt kurz "Hallo". Aber genauso mag ICH es und habe es entsprechend trainiert.
Generell würde ich um das nach Hause kommen kein großes Theater machen. Du warst weg... jetzt bist du wieder da. Ende. Jede stürmische Begrüßung, jedes toben und spielen stachelt den Hund vielleicht an und macht aus einer ganz normalen und harmlosen Sache etwas besonderes. Wie gesagt KANN das so sein. Andere Hunde spielen aufgeregt mit ihrem Herrchen und legen sich danach wieder gemütlich auf ihren Platz und sind tiefenentspannt. Also alles sehr individuell.
Es wird oft ein pauschales Ignorieren empfohlen, das erst aufgehoben wird, wenn der Hund sich beruhigt hat. Das würde ich so nicht unterschreiben. Wenn du möchtest, dass dein Hund entspannt ist, wenn du nach Hause kommst, er aber an dir hochspringt, dann kannst du sein Verhalten ignorieren, bis er sich ruhig verhält. Dann sofort loben und bestätigen. Dreht er dadurch wieder hoch, wieder ignorieren, bis er das gewünschte Verhalten zeigt. Nur so kannst du deinem Hund deutlich machen, was er tun soll und was - in deinen Augen - richtig oder falsch ist. Pauschales ignorieren führt zu keinem Lernerfolg. Hundi weiss nicht, warum du nicht reagierst, ist irgendwann gefrustet, geht auf seinen Platz. Wenn du ihn dann lobst, dann freut er sich zwar, kann das aber nicht mit seinem Verhalten an der Tür verknüpfen.
Wie reagiert deine Hündin bisher, wenn sie alleine war und du zurück kommst? Wie würdest du dir eine gelungene Ankunft zu Hause vorstellen?
Hilfsmittel:
Es wurden ja bereits einige Hilfsmittel angesprochen wie Düfte oder Kauartikel. Eine Userin macht den Duftstecker rein, das Radio an, legt das Spielzeug hin und verlässt dann unauffällig die Wohnung. Ich will das gar nicht kritisieren, aber wenn das alleine bleiben so aufgebaut wurde, dann könnte der Hund ein Problem bekommen, wenn das Radio zB mal vergessen wird oder der Duftstecker alle ist. Manche legen ein Kleidungsstück hin, dass nach ihnen riecht. Manche gehen vorher lange spazieren und powern den Hund aus, damit er die nächsten Stunden müde ist. Alles gute Ansätze... aber was passiert, wenn man irgendwas davon mal vergisst oder keine Zeit hat? Wenn Hundi nur alleine bleiben kann, wenn er vorher 3 Stunden spazieren war, dann kann es zu Problemen führen, wenn der Spaziergang mal ausfällt, weil ein Termin spontan dazwischen kommt.
Ich will den Einsatz von Hilfsmitteln nicht verteufeln, nur darauf hinweisen, das man sie auch wieder ausschleichen, sie dem Hund also wieder abgewöhnen, sollte. Jedes "Ritual", das man mit dem alleine bleiben verknüpft, wird für den Hund ein Teil des Ganzen. Von daher wäre ich damit einfach vorsichtig und bedacht.
Um eine Basis zu schaffen und einen schwierigen Hund in die richtige Richtung zu führen ist es sicherlich eine gute Sache. Da darf man ruhig mal diverse Dinge von Duftstoffen, Bachblüten, bis hin zu Spielzeugen, ausprobieren. Aber diese bitte nur als Einstiegshilfe nutzen und während des Gesamttrainings langsam wieder abbauen. Ziel sollte sein, dass der Hund immer und zu jeder Zeit alleine bleiben kann, ohne ein verknüpftes Ritual.
Das schafft man am besten, wenn man das alleine bleiben sorgsam und in kleinen Schritten aufbaut, dem Hund zu Hause das Gefühl von Sicherheit gibt, ihm klar macht, dass er nichts tun muss ausser schlafen und faul sein und dabei gewisse Regeln aufstellt, die dem Hund all das erleichtern.
Durch dein Umfeld hast du noch ein paar zusätzliche Hürden zu nehmen, denke aber, dass es auf jeden Fall machbar ist und wünsche dir viel Erfolg und Geduld ;-)
Obwohl mein Beitrag eine beachtliche Länge bekommen hat, die mich selbst überrascht, kann ich hier natürlich nicht auf alle Eventualitäten eingehen, sondern nur Ansätze formulieren oder Vermutungen aussprechen. Das Training selber hat sehr viel mit Feingefühl und Gespür für den Hund und die Situation zu tun. Wenn du also deine Erfahrungsberichte schreibst, können wir vielleicht weiter auf die Sache eingehen... zumindest soweit, wie es die schriftliche Form zulässt.