Die Frage ob man neue Rassen (und wenn ja, welche) braucht wird sicher nie zu einem einheitlichen Konsens führen, weil die Menschen und ihre Vorstellungen einfach zu unterschiedlich sind. Ich empfinde z.B. meine Toller als ideale Familienhunde, die man völlig problemlos neben Kindern, Job, Haushalt ect. halten kann. Mit 2-3 vernünftligen Trainings in der Woche sind die total zufrieden. Ein Standardgolden oder Standardlabrador wäre mir viel zu langweilig. "Noch weniger" wäre für mich unvorstellbar. Jemand anders mag das wieder ganz anders sehen und soll meinetwegen seine Traumrasse genau so bekommen können. Solange die Hunde da nicht drunter leiden ist das ja erstmal nicht verwerflich.
Das Hauptproblem im Etablieren einer neuen Rasse sehe ich ja in der Infrastruktur. Wenn man die alten Fehler nicht wiederholen will, sollte man mit einer Ursprungspolulation anfangen, die nicht nur auf 10-30 Hunden beruht, wie bei vielen bisherigen Rassen, sondern beispielsweise mit 100 Hündinnen und 100 Rüden aus 4 verschiedenen Rassen, wobei die jeweiligen Hunde einer Rasse dann wiederum aus möglichst unterschiedlichen Linien kommen müssten. An diese Ausgangshunde muss man erst mal herankommen und sie unterbringen. Da großangelegte Zuchtanlagen wohl kaum in Frage kommen, gerade wenn man Familienhunde züchten will, bräuchte man 50 bis 100 gleichgesinnte Züchter und Deckrüdenbesitzer, die das stemmen. Dann fallen mit meinen 100 Zuchthündinnen schätzungsweise 300 Würfe in der ersten Generation, ich muss also an die 2000 Welpen so unterbringen, dass ich ihre Entwicklung verfolgen kann, Gesundheitsuntersuchungen und Wesenstest plus je nach Zuchtziel Überprüfung der Arbeitseigenschaften machen kann und dann züchterisch auf die passenden Hunde wieder zugreifen kann.
Ausserdem brauche ich eine Vereinsstruktur, mit Vorstand, Wurfabnahmeberechtigten, qualifizierten (!) Wesensrichtern, evt. Leistungsrichtern, HD/ED-Gutachtern etc. etc. Und wenn es um viel Arbeit geht, wird es in den Vereinen oft ganz schnell eng mit ehrenamtlichen Mitarbeitern.
Wenn ich mir unsere Toller anschaue, da sind wir mit knapp 140 Zuchthunden im DRC sicherlich an der unteren Grenze dessen, was man für eine neue Rasse bräuchte und niemals könnten wir das alles alleine stemmen, das funktioniert nur, weil der DRC alle Retrieverrassen betreut und man so auf 12 000 Mitglieder kommt. Und selbst da sind einige Funktionen dünn besetzt.
Insofern kann ich den Wunsch nach neuen Rassen verstehen und in der Theorie ist da sicherlich auch viel möglich, in der Praxis sehe ich da eher schwarz. Das wird wohl eher immer wieder auf kleine Ein-Mann-Projekte hinauslaufen und sobald die Sache größer wird, kommt es zu Streit und Abspaltungen etc.