Die TÄ hat Erfahrung in der Chemo, aber bisher hat sie, wie sie selbst sagt, einfach "Schwein" gehabt, das ihr keiner der kleinen Patienten so in die Knie gegangen ist, wie mein Merlin. Sie hatte allerdings auch noch keinen Fall, der so ausgesprochen fit eine Chemo begonnen hat.
Nachfragen beim Institut, welches die Gewebeprobe untersucht und den Therapieplan erstellt hat, haben ergeben:
In seltenen Fällen kommt genau das vor, was Merlin gerade durchmacht. Es sei eine Krise, die überwunden werden kann, und die bis zu drei Wochen dauern kann. Ein Absetzen der Chemo sei nicht anzuraten, trotz der Krise.
Die Zusammensetzung, die er letzte Woche bekommen hat, sieht der Therapieplan nur ein einziges Mal vor, so daß wir davon ausgehen, daß, wenn er diese Krise überwindet, er das Schlimmste überstanden hat und es ihm im Verlauf der weiteren Behandlung nicht wieder so schlecht geht.
Ich war gerade bei ihm. Er ist schwach, aber er WILL. Gestern hatte er keinen Bock auf gar nix, heute ist er aufgestanden als ich reinkam und reagiert auf Lärm im Flur mit unwilligem Gegrunze. Erbrochen hat er seit gestern abend nicht mehr. Sein Verdauungssystem funktioniert, aber er verträgt momentan nur winzige Mengen. Für mich steht im Augenblick fest: Er will leben und ich habe nicht das Recht, ihm die Chance zu nehmen. Denn eine Chance hat er. Zehn Jahre lang hat er mir nur Freude gemacht, und ich habe kein Recht, ihn bei den ersten ernsthaften Schwierigkeiten einfach aufzugeben. Er wäre nicht mein erstes Tier, das ich über die Regenbogenbrücke gehen lassen müßte. Und bisher war es immer so, das ihre Augen mir gesagt haben: Laß mich gehen, ich will nicht mehr, und ich kann nicht mehr.
Wenn Merlins Augen mir das sagen, werde ich ihn gehen lassen, aber keine Minute früher. Das bin ich ihm schuldig.