Beiträge von bylla


    Ich stimme dir zu. Beim Erziehen von Menschenkindern kommen wir ein bisschen weiter mit unseren eigenen natürlichen Instinkten als beim Hund. Wir greifen daher wohl etwas weniger auf abstrakte Modelle zurück. Das ist aber ein sehr sehr weites Feld.
    Die Belohnung durch soziales Zugehörigkeitsgefühl, bzw. der Befriedigung des Bedürfnisses danach, ist sicher auch beim Menschen das zentrale. Gehts nur um Gummibärchen - dann wird das nix gescheites...


    Ein kleiner Denkfehler steckt aber noch in deinen ausführungen drin: Mit Belohnen kann man IMMER nur ein Verhalten verstärken, niemals ein NichtVerhalten.


    Du kannst Nicht-Weinen nicht belohnen und verstärken. Ebensowenig wie Nicht-An-der-leine-ziehen.


    du kannst mit positiver Verstärkung (dem Hinzufügen einer Belohnung) nur verstärken, was der Hund/das Kind gerade tut. Beim Hund: er setzt sich auf Kommando - Lob. Oder: Er geht neben mir und schaut hoch: Lob.
    D.h. du musst immer definieren, was du willst (welche Handlungsalternative du anbietest) und ein gutes Timing entwickeln. Das geht leider furchtbar oft schief, und was rauskommt, sind bettelnde, nervöse Hunde, die allen Quatsch machen um an ein Leckerli zu kommen. Sie wissen gar nicht, wofür sie belohnt werden.


    Allzu gerne belohnen Leute Hunde, die gerade gar nicht an der leine giften. Toll! leckerli!! In wirklichkeit hat der Hund vielleicht gerade fixiert, und man hat da belohnt.


    Wenn man mit einem Konstrukt wie "positiv verstärken" hantieren will, dann muss man sich im Klaren sein, was man da wirklich tut.

    Die Sache mit dem Ignorieren:


    Das Ignorieren ist natürlich nur zielführend, wenn es in dem Moment dem Hund etwas entzieht was er haben will. Nämlich die Aufmerksamkeit des Menschen. Springt der Hund mich an und ich drehe mich weg, dann nehme ich ihm das, was er möchte. Wenn er gerade jagt und ich drehe mich weg, hat das keinen Effekt, da er gerade nicht an meiner Aufmerksamkeit interessiert ist und der Entzug derselben ihm nicht mal auffallen wird. Da muss man schon differenzieren!
    Und nur weil eine Methode nicht in allen Fälle hilft, heisst es nicht, dass sie nicht taugt. Man muss halt verstehen, wo und wie man sie einsetzen kann. Aspirin hilft auch nicht bei Beinbruch... aber super bei Kopfschmerz.


    Analog: Futterlob ist nur effektiv, wenn der Hund gerade auch Futter will, also nicht pappsatt ist. Spiel ist nur eine gute Belohnung, wenn der Hund gerne spielt. Ein Hund, der eine sehr enge Beziehung zu seinem Menschen hat, wird schon einen genervten blick als Stafe oder Ermahnung verstehen. Ein abgestumpfter Hund nicht mal ein Brüllen. Es kommt immer auf den Kontext an.


    Die Sache mit dem "Hunde loben sich auch nicht gegenseitig" und dem Wolfsrudel:


    Man muss sich klar machen, dass wir nicht nur Interaktionspartner des Hundes sind, sondern auch seine Umwelt definieren.


    In der Natur - also dort, wo eine Tierart durch Evolution entstanden ist - lernt ein Säugetier natürlich auch durch "Lob". Lob in diesem Zusammenhang bedeutet einfach nur "Erfolg" oder "Befriedigung". Dieser Erfolg kommt aus der Umwelt. Jagderfolg - Fressen ist offensichtlich, wenn auch komplexer als es zuerst aussieht. Aber - Mutter Natur hat es sehr clever eingerichtet! - jedes Erfüllen eines Triebes/Instikts führt zu "Lob" im Sinne von Befriedigung. Wenn der Hund (Wolf) seinem Hetztrieb nachgibt, fühlt er sich gut dabei (weil entsprechende Substanzen ausgeschüttet werden).
    Das gilt für alle Triebe. Da ein Tier in der Umwelt, in der es "hingehört" laut Evolution, weitgehend instinktgesteuert richtig handelt, führt dieses selbstbelohnende System dazu, dass sein Verhalten in der richtigen Richtung verstärkt wird.
    Was ein Wolf zusätzlich braucht, um z.B. in der Gruppe effektiv zu jagen, lernt er vielmehr durch Nachahmung seiner Kollegen als durch gezielte positive Verstärkung (wie stark Hunde durch Nachahmen lernen wird m.E. in der ganzen Hundererziehungstheorie etwas vernachlässsigt...).
    Jedenfalls müssen die anderen Wölfe nicht irgendwelche Sachen gezielt loben - das erledigt die Umwelt schon für sie.


    Wichtig ist noch das Meideverhalten. Wir (die Säugetiere - und nicht nur die) verfügen über ein lebensrettendes Schmerzempfinden, das uns ein starkes Meideverhalten ermöglicht. Was weh tut, schadet - lass dass! Auch hier müssen die anderen Wölfe eher wenig eingreifen (tun es aber auch, wenn der Welpe mal zu fest beisst). Jedenfalls setzt das Meideverhalten gewisse Grenzen, die das Tier nicht überschreiten kann, weil es sonst wehtut. Innerhalb dieser Grenzen handelt es weitgehend instinktgesteuert, wird darin positiv verstärkt durch Selbstbelohneung und lernt durch Nachahmung.


    Jetzt kommt der Mensch ins Spiel.
    Wir definieren die Umwelt des Hundes völlig neu. Wir SIND die Umwelt des Hundes. Seine Instinkte passen nicht mehr richtig. Deshalb funktioniert auch das selbstbelohnende System "Triebbefriedigung - Triebverstärkung" nicht mehr - d.h. klar funktioniert es noch, aber genau das wollen wir ja nicht. Wir wollen den Trieb umleiten oder gar abtrainieren.
    Macht man das jetzt auch noch über Meideverhalten (auf das Ausleben des Triebes folgt Strafe) hat der Hund nichts mehr, was er tun kann. Sein instinktgesteuertes Verhalten wird bestraft. Es hat aber nun keine Alternative! Was soll er jetzt bloss tun!! DADURCH entsteht Angst. Nicht durch das biologisch fixierte Meideverhalten an sich.


    Also müssen wir dem Hund Alternativen geben. Diese Handlungsalternativen sind aber relativ abstrakt und nicht im Instinkt-Repertoire angelegt (an der leine gehen, sitz machen...). Also gibt es keine Selbstverstärkung dafür, wie in der Natur. Und DAS ist der Grund warum wir mit Belohnungen arbeiten müssen, als Ersatz für die Selbstverstärkung von Instinktverhalten - ein Wolfsrudel aber nicht.


    Daraus wird auch klar, dass "belohnt werden" tatsächlich etwas abstraktes ist, was der Hund lernen muss. Leckerli, ok, das ist leicht zu verstehen. Aber selbst da ist der Zusammenhang nicht wirklich so "natürlich" wie man sich das gerne denkt (gerade soziale Jäger fressen ihre Beute nicht unbedingt sofort, und der beste Jäger bekommt keineswegs zuerst oder am meisten!). Sowas wie Anfassen als Belohnung ist sehr abstrakt und m.E. eher sinnlos. Auch Stimmlob oder Lächeln muss der Hund erst erlernen zu verstehen - kann er aber.


    Was er als Lob empfindet, ist aber m.E. nicht das Lächeln selbst. Sondern er erfährt die Befriedigung eines Grundbedürfnissen, nämlich sozialer Zugehörigkeit. Er hat gelernt: ein lächelnder Mensch wird mich nicht wegschicken! Ich denke, die Erfahrung sozialer Zugehörgkeit und damit Sicherheit ist das größte "Lob" (Befriedigung eines Bedürfnisses) das ein soziales Wesen erfahren kann. VIEL wichtiger als Futterbröckchen. Soziales Dazugehören-Wollen ist ein Instinkt, den wir uns zunutze machen können.


    Daraus folgt aber auch: Um den Hund wirklich "positiv zu erziehen" - also über Lob und Belohnung - ist es ausschlaggebend, dass die Beziehung zwischen Hund und Mensch stimmt. Das man einen für den Hund sinnvollen sozialen Verband bildet, in dem er sich sicher fühlt. Ist das nicht so, kann man Leckerli reinschieben wie man will. Der Hund wird "Tricks" lernen. Aber wenns drauf ankommt, wird ihm der Mensch egal sein. Nach dem Motto: "Er hört so gut, nur wenn er andere Hunde sieht, dann ist er weg..."


    ich finde, man muss dem Hund sehr viel mehr anbieten als nur Futterbrocken. Nämlich echte soziale Interaktion und Sicherheit. Das geht nicht über "nur positiv", es hat aber auch nichts mit Strafen zu tun. Sehr wohl aber mit Konsequenz, Respekt, Kontrolle über Ressourcen.

    Dragonwog,


    wie ist denn die neurobiologische Bezeichnung für das, was mit "negativer Verstärkung" in der Psychologie gemeint ist?


    ich finde es schade, wenn diese Begriffe verwischen, weil ich es sehr wichtig finde, sich die unterschiedlichen Mechanismen klarzumachen und sinnvoll zu nutzen - statt sie einfach nur unbewusst anzuwenden.

    Zitat

    Was wäre denn ein Beispiel für positive Strafe?
    Das Wort "Strafe" schliesst doch automatisch das Wort "positiv" aus.
    :???:




    Positiv: es wird etwas hinzugefügt. Also Schläge, Brüllen etc ist Strafe durch Hinzufügen.
    Negativ ist Strafe duch wegnehmen: Wenn du deine Hausaufgaben nicht machst, darfst du nicht spielen! In der Hundeerziehung eher wenig sinnlos. Allenfalls Entzug von Aufmerksamkeit.


    Positiv bedeutet nicht "gut". Ein Dia-Positiv ist auch kein schöneres Bild als ein Negativ.


    Ich war eigentlich der Meinung, dass der Begriff "negative Verstärkung" ein feststehender ist.
    "Negative Verstärkung bedeutet, dass eine Verhaltensweise dann mit höherer Wahrscheinlichkeit wieder gezeigt wird, wenn sie einen unangenehmen Zustand beendet oder reduziert."


    Frau Theby schreibt über "Lerntheorie". Wo kann ich nachlesen, wie dieser Begriff in der Neurobiologie verwendet wird? Ich habe nichts dazu gefunden, was aber nichts heisst, ich bin immerhin kein Biologe.

    Besser kann man einem Hund ein territoriales Verhalten gar nicht beibringen. jetzt ist er erst ein Jahr alt. Das kann ja noch lustig werden.


    Wenn er dann tatsächlich mal einen Hund oder gar Menschen beisst, weil der nicht schnell genug verschwindet, dann heisst es "typisch Schäferhund".


    Ich persönlich finde euer Verhalten nicht gerade verantwortungsbewusst. Ein höherer Zaun wird ihn drinhalten (das ist das mindeste!!), aber das Verhalten des Hundes nicht ändern. Nachher habt ihr einen permanenten Kläffer am Zaun...


    Warum sollte der Nachbar zahlen? Es ist euer Hund. Da ist kein anderer dafür verantwortlich.

    Das sehe ich anders. Wenn man den Begriff "positive Verstärkung" benutzt, dann signalisiert man damit, dass man die Lerntheorie bemüht.
    wobei ich das mit "nur positiv" schon noch verständlich finde. Blöd wird es aber, wenn "Negative Verstärkung" für Strafe gehalten wird. So auch im Buch von Viviane Theby - die es besser wissen sollte.
    Das ist dann ein echtes Problem, weil man sich sehr viel an Verständnis dafür, wie lernen funktioniert, nimmt.
    Den Begriff nicht zu verstehen und zu kennen - ok. Aber ihn falsch zu verwenden - nein.


    Es ist wie wenn man Begriffe wie "Temperatur" oder "Beschleunigung" benutzt. die sind klar und deutlich definiert. Wenn ich auf einmal erkläre, es ist doch total egal, wenn ich eigentlich das Gewicht meine und es aber Temperatur nenne, dann verlasse ich die "Definitionsgemeinschaft" und kann nicht mehr verstanden werden.


    Definitionen sind wichtig. Nur wenn jeder der "Tisch" sagt damit auch "Tisch" meint, ist eine Verständigung möglich.


    Es wäre dann besser zu fragen: Kann man nur mit Belohnung erziehen? Kann man ohne Strafe erziehen? Das geht doch auch, wenn es auch unpräzise ist.
    Wenn man die Unterscheidung positiv und negativ benutzt, dann aber bitte korrekt. Finde ich.

    Hundeführerschein... schön und gut, aber wer entscheidet, was der beinhaltet?


    Wenn da gefordert werden WÜRDE, dass der Hund an der Leine richtig geführt werden kann, fallen doch schon ne Menge Leute durch... Ebenso, wenn man überprüft, ob der Hund abrufbar ist. Oder ob er an der leine giftet. Wieviele Hunde tun das? jede Menge...
    Wie ist es mit den Haltungsbedingungen? Darf man nur einen Hund haben, wenn man einen Garten hat? Oder nicht arbeiten geht?
    Muss man die BH ablegen? wie lange hat man zeit bis zur Führerscheinprüfung? Was ist, wenn jemand kein Geld für Hundeschule hat? Ohne Hundeschule kein Hund? Ist aber jede Hundeschule automatisch gut? sicher nicht...


    Nach welchen Kriterien wird geprüft und vom wem?


    Und vor allem: Was passiert, wenn jemand durchfällt? Muss er den Hund abgeben? Wohin? Wer prüft, und bei welcher Gelegenheit, wer einen Hund anschafft? Wie will man jemand davon abhalten?


    Da gibt es jede Menge offene Fragen. Und ich weiß nicht, ob man mehr Bürokratie, mehr Ordnungspolitik, mehr Regulation uneingeschränkt begrüßen sollte... die Frage ist, ob es den Hunden tatsächlich was bringt oder nur generell die Zahl der Hunde und Hundehalter nach unten drücken wird/soll.

    Zitat

    Eine rein positive Erziehung gibt es für mich definitiv nicht und immer nur ignorieren hilft dem Hund definitiv nicht weiter! Man sollte souverän sein und sich nicht über jedes Fitzel aufregen, aber dem Hund gegenüber ist es fair, dass er verstehen darf was er da gerade falsch gemacht hat.



    Auch hier ist wohl gemeint: Eine rein über Belohnung funktionierende Erziehung gibt es wohl nicht... auch wieder der Begriff positiv im Sinne von "gut", also nicht so wie er in der Lerntheorie benutzt wird.


    Man muss ja nicht päpstlicher sein als der Papst, aber WENN man fest definierte Begriffe benutzt, DANN sollte man sie so benutzen, wie sie definiert sind.