24.Dezember um 11.25 Uhr
Traumberuf Schäfer
Eine Reportage von Myriam Tonelotto
Seit etwa 7.000 Jahren ziehen Schäfer mit ihren Herden zu den Gipfeln der Pyrenäen hinauf. Wie sie die Tiere führen müssen und wohlbehalten über den Sommer bringen, lernten die meisten von ihren Vätern. Doch mit dem Niedergang der traditionellen Landwirtschaft im 20. Jahrhundert drohte der Beruf des Schäfers auszusterben. Seit einigen Jahren kommen wieder junge Männer und Frauen in die Pyrenäen. Sie wollen - der Hektik moderner Zivilisation überdrüssig - an der Seite erfahrener Schäfer die Kunst des Herdenführens lernen. Die Reportage begleitet den 24-jährigen Yann Amouret, seinen Lehrmeister und ihre Herde einen Sommer lang.
Ein Schäfer hat viele Berufe: Er muss ein Regiment führen, Krankheiten und Verletzungen heilen, Kräuter und Pflanzen identifizieren und das Wesen seiner Tiere verstehen. Ein halbes Jahr ist er der einzige Mensch in der Nähe der Herde und verantwortlich für das Wohlergehen jedes einzelnen seiner manchmal mehr als 1.000 Tiere. Trotz dieser hohen Anforderungen hat sich der 24-jährige Yann Amouret für eine Ausbildung zum Schäfer entschieden.
Zusammen mit dem erfahrenen Hirten Yves Renaud zieht er im Frühjahr auf die fast 2.000 Meter hohen Gipfel in den Zentralpyrenäen, um dort fünf Monate lang eine Herde von 1.300 Schafen zu hüten. Yves Renaud wird in dieser Zeit ein wachsames Auge auf seinen Lehrling haben müssen, denn der Beruf des Schäfers ist nicht nur technisch, sondern auch körperlich anspruchsvoll. Die Männer müssen täglich 15 Stunden arbeiten und ihren Tieren auf steilen Hängen folgen können.
Weil nicht jeder für den Beruf geeignet ist, wählen die Schäfer streng aus, wen sie in ihre Mitte aufnehmen. In diesem Jahr haben sich 180 Kandidaten beworben. Nur zehn werden schließlich zur Ausbildung zugelassen. Yann Amouret gehört dazu, und in den nächsten Monaten wird er beweisen müssen, dass er die in ihn gesetzten Hoffnungen erfüllen kann.