Moin,
wir hatten früher einen blinden Husky. Der kannte ehe er zu uns kam nur ein Leben an der Kette.
Hugin hat man seine Blindheit kaum bis gar nicht angemerkt (er ist halt immer mal gegen nen Schrank oder Stuhl geknallt, wenn er sich zu sehr gefreut hat und zu zügig durchs Haus gedüst ist).
Ich bin heute noch fasziniert mit welcher Präzission dieser Hund Insekten gejagdt hat, da waren die Ohren wie Radarschüsseln.
Mißverständnisse mit anderen Hunden gab es jedoch häufiger. Ich kann aber nicht sicher sagen ob das an Hugins Blindheit, seiner vermutlich im Welpenalter nicht erfolgten Sozialisierung oder daran lag, dass Hugin auch geistig behindert war und es mit seiner Auffassungsgabe folglich nicht so weit her war.
Wann immer er einen anderen Hund roch/hörte wollte er mit diesem spielen, auch wenn dieser schon auf 100m Zähne fletschte, knurrte und keinen Zweifel daran ließ, dass er NICHT spielen möchte.
Da Hugin zu allem Überfluss auch noch über keine nennenswerte Blutgerinnung verfügte hat uns das natürlich durchaus sehr gefordert.
Allerdings war Hugin (ggf auch durch die geistige Behinderung) ausgesprochen gefügig und für einen Husky auffallen treudoof.
Im Haus war er ein Traum, irgendwo zwischen Sofakissen und Hupfball.
Ein toller Hund, der als Einzelhund oder mit sehr verträglichen Hunden gleichsam glücklich gewesen ist.
Nur eben mit Hunden, die Wert auf eine Einhaltung ganz normaler hündischer Verhaltensnormen bestanden wars hier und da schwierig (es gab öfter mal Klopperein mit meinem anderen Schlittenhund, aber die waren stehts so harmlos, dass selbst Hugins eingeschränkte Blutgerinnung kein Problem darstellte.
Mit fremden Hunden war natürlich immer Vorsicht angesagt, ein Hund, der die Körpersprache anderer Hunde nicht lesen kann ist schon ein besonderer Fall.
Mit Menschen war er ein Traum, den hätte man morgens in nem Kindergarten oder Altersheim abgeben können und abends wieder abholen
Bei mehrere Erste-Hilfe-Kursen für Hundehalter hab ich ihn als Vorführhund mitgebracht.
Hugin lag auf dem Rücken, ließ sich von 4 Teilnehmern alle Pfoten gleichzeitig verbinden, die er von sich streckte, weil ein 5. Teilnehmer ihm den Bauch streichelte und war glücklich, aus seiner Sicht waren die alle nur da um IHN lieb zu haben.
Als wir in der Uni nen Hund brauchten der sich nen EKG ableiten läßt hat Hugin das nicht nur für meine Gruppe möglich gemacht, sondern für den halben Jahrgang
Die Mischung aus Blindheit und geistiger Behinderung hatte hier echt einen Hund hervorgebracht bei dem alle die ihn mal getroffen haben bis heute froh sind ihn gekannt zu haben (er ist vor einigen Jahren verstorben).
Als im November 2011 unser Greyhoundmix Stuart Little (den hatten wir 9 Jahre zuvor als Angsthund aufgenommen) gestorben ist haben wir lange hin und her überlegt an wen wir seinen Sofaplatz vergeben wollen.
Da wir bereit sind Hunde mit "Handycap" aufzunehmen und auch unser Platz begrenzt ist waren wir uns schnell einig, diesen Platz auch wieder mit einem Hund mit "Macke" zu besetzen.
Einen blinden Hund wollten wir nicht wieder, da unsere beiden bereits verhandenen Rüden großen Wert darauf legen, dass ein Hund ihre Körpersprache liest und beachtet.
Außerdem sind mein Mann und ich recht unordentlich, lassen schonmal was rumliegen und hier in Haus stehen auch noch ettliche Renovierungsarbeiten an, dass wir nicht denken, dass es da gut gewesen wäre einen Blindwauwau zu nehmen.
Da aufgrund der Treppen im Haus und meiner eigenen Körperbehinderung auch Dreibeinchen und Co ausfielen entschieden wir uns für die Aufnahme eines tauben Hundes.
Ende Mai 2012 zog dann Filipendula, eine taube, junge Podenca Andaluz bei uns ein.
Fordern tut uns eigentlich nur die Tatsache, dass sie auf uns wirkt wie ein depriviertes kleines Hündchen von dem es unwahrscheinlich ist, dass sie ehe sie zu uns kam viel mehr als eine dunkle Box (vielleicht die Wurfbox in der sie verbleiben mußte als ihre hörenden Geschwisterchen verkauft wurden?) gekannt haben wird.
Knochendichte und Zustand der Gelenke, sowie die fast vollständige Abwesenheit von brauchbarer Skelettmuskulatur sprechen dafür, zum Glück isse klein und leicht genug, dass mein Mann sie völlig problemlos tragen kann und auch ich sie gut tragen kann, wenn ich sie mir über die Schultern legen.
Über ihren "Geistszustand" wußten wir vor der Adoption nichts, erst nach und nach stellte sich herraus, dass sie keienswegs geistig behindert, eher sogar sehr intelligent ist.
So arbeiten wir daran ihr beizubiegen, dass die Welt zwar groß aber nicht gefährlich ist.
Ihre Taubheit aber ist völlig nebensächlich.
Wir dachten. diese "Behinderung" würde uns fordern und kommen uns deswegen nun unendlich dumm vor, mußten wir doch erkennen, dass Hunde einander niemals etwas zurufen. Dass es für einen Hund das normalste der Welt ist darauf zu achten, was die Körpersprache anderer Hunde und Menschen ihnen vermittelt.
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Wie geht ihr mit euren Hunden um?
Ganz normal, wie mit den anderen auch. Ihre Grunderziehung und -ausbildung erfolgt mit den gleichen Handzeichen mit denen wir schon die Hörzeichen der anderen Hunde unterstrichen haben. Zusätzlich eingeführt haben wir Handzeichen für "gut", "komm" und "nein".
Allerdings reden wir auch ganz normal mit ihr, weil wir "Angst" haben unserer Körpersprache unbewußt etwas zwanghaftes/Unnatürliches zu verleihen, wenn wir angestrengt versuchen nicht mit ihr zu sprechen.
Wenn wir "Nein" gebärden, sagen wir es auch bzw "schimpfen", wenn wir sie trösten oder beruhigen wollen reden wir ihr gut zu "Alles ok Schatz".
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Wo sind die Besonderheiten?
Man kann Chips aus knisternden Tüten essen und sie pennt weiter. Sie erschrickt nicht, wenn mir mal wieder etwas runterfällt.
Die größte Besonderheit ist wohl, dass wir darüber nachdenken ihr ein GPS Halsband zu kaufen.
Unser Alptraum ist es, dass sie mal abhanden kommt und sich verkriecht. In dem Moment wäre sie vermutlich ein für alle male weg.
Die anderen kann ich rufen und sie finden mich dann. Bei ihr ist das nicht möglich. Das ist die einzige Sorge, die mir ihre Taubheit macht.
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Wie sieht das bei Fremdhundbegegnungen aus?
schwierig. Sie möchte auf jeden Hund zustürmen und diesen ohne Umweg zum Spielen auffordern. Ohne die üblichen Normen einzuhalten (schnuppern und beschnuppern lassen). Aber das hat sicher eher mit ihrer "Kindheit" als mit der Taubheit zu tun.
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Und was ist mit Sport? Hundeschule? Was wird so gemacht?
Sobald ich mir im Bezug auf ihre Knochen, Gelenke und Muskeln sicher bin werde ich ganz normal mit ihr arbeiten und ggf auch in die Hundeschule gehen. Im Moment spare ich auf ein besseres Vibrationshalsband, weil das was wir schon haben einfach nur doof ist Außerdem überlege ich ne besondere Taschenlampe als "Rufzeichen" zu etablieren.
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Wie ist das so mit der Zeit, vergleichbar mit einem normalen Hund oder brauchen die Hunde quasi eine rund-um-die-Uhr-Betreuung?
Abgesehen von dem besorgniserregenden Zustandes ihres Bewegungsapparates und der Tatsache, dass wir darauf achten müssen ihr die große weite welt mit einer beruhigenden Selbstverständlichkeit näher zu bringen ist sie ein ganz normaler Hund.
Wenn ich mir ihr unterwegs bin erwähne ich anderen Hundebesitzern und generell anderen Menschen gegenüber selten, dass sie taub ist, warum auch. Wenn ich es mal erwähne folgt oft erstaunen, weil man es ihr gar nicht anmerkt, gleichzeitig konnte mir aber auch noch niemand sagen wie er denn erwarten würde, dass man es ihr anmerken müsse
Ich denke, dass es bei blinden Hunden doch einiges mehr zu beachten gibt.
Aber ein tauber Hund ist meiner Einschätzung nach einfach nur nen Hund, den man nicht mit Hörzeichen erziehen kann und viele Halter von tauben Hunden die ich beruflich kenne berichten das gleiche:
Erst hat man die Erwartung und jeden Willen sich auf die "Behinderung" einzustellen um dann zu erkennen, dass der Hund weder behindert ist noch überhaupt auch nur vermutet, dass er anders sein könnte.
Ganz ehrlich vermute ich, dass Filis Taubheit im Bezug auf ihre Deprivationsschäden sogar ein Vorteil ist.
Die erste Zeit hatte sie Angst vor fallenden Blättern, alles bewegliche und unbewegliche um sie herum war zu viel, gruselig und überwältigend. Ich denke dass ihr das ankommen in dieser großen Welt möglicherweise noch schwerer fallen würde wenn dazu noch Geräusche kämen.
Das gilt zumindest für taub geborene Hunde.
Aus beruflicher Erfahrung kann ich sagen, dass ich stets den EIndruck hatte, dass Hunde besser mit Erblindung und Ertaubung klarkommen je schneller dieser Prozess vonstatten geht.
Wacht ein Hund morgens auf und kann nichtmehr sehen oder hören scheint es für ihn deutlich einfacher zu sein sich umzustellen, als wenn diese Sinne über einen größeren Zeitraum schleichend verloren gehen.
Das erinnert mich an meine Katze.
Kam angefahren mit einem zertrümmerten Bein in die Praxis.
Nach der Amputation stand sie auf, dachte sich vermutlich "oh, ok, das Laufen und stehen geht nun eben so" und machte halt auf 3 Beinen weiter.
Ein Hundepatient der eine schleichende Lähmung im Hinterbein hatte viel dauernd um, torkelte, war verwirrt.
Erst als klar war, dass die Lähmung gravierend und ireversibel war entschieden sich die Halter zur Amputation.
Nach dieser OP zeigte er sich ähnlich wie meine Katze.
Der unsichere Faktor war weg und das Leben wurde auf 3 Beinen fortgesetzt.
lg
Fraukie