Was für ein spannender Thread!
Mein Urgrossvater war um die Jahrhundertwende Nachtwächter und besass deshalb also immer einen 'scharfen', natürlich Deutschen Schäferhund. Ich erinnere mich gut an die Erzählungen meines Grossvaters, der Hunde immer sehr gemocht hat und den ich bereits als Kind und später als Erwachsene mit grösser Faszination über meinen Urgrossvater ausgefragt habe. Zuerst war da Nero, der bereits als winziger Welpe in die Familie kam und als der Bruder meines Grossvaters ihn nach Hause brachte, weil er wegen einem Knickohr hätte ersäuft werden sollen, noch so klein war, dass er in dessen Westentasche gepasst habe. Mit Kuh- und Ziegenmilch habe man das Tierchen aufgezogen, bis es dann von selber ass. Ein bildschöner Hund sei das gewesen, der aber eben ein Knickohr hatte. Er wurde, als er alt genug war, 'abgerichtet' und griff den einen Schutzhelfer, den es gab, Zeit seines Lebens sofort und kompromisslos an, wenn er ihn sah, was zu einiger Belustigung auf allen Seiten führte, weil der Schutzhelfer sich jeweils durchs Dorf schleichen musste um dem Hund auszuweichen, wenn dieser draussen war. Das wurde allerdings als völlig normal bewertet. Der Hund lebte draussen im Zwinger musste aber auch ab und zu Zugang zum Haus gehabt haben, weil er sich von klein auf bei Schüssen und Gewitter fürchtete und immer wieder erwähnt wurde, wie er sich deswegen in der Holzkiste in der Wohnung verkroch. Dabei litt nach der Erzählung meines Grossvaters die ganze Familie mit dem Hund mit und hatte grosses Mitleid mit ihm. Auch das führte zu manch lustiger Anekdote, weil der Hund sich bei Knallereien weiterhin in der Kiste verkroch, in die er als Welpe noch gut hineingepasst hatte, in der er als ausgewachsener Rüde jedoch kaum mehr Platz fand. Nach Nero kamen dann Arno, Rex, Lux und noch weitere, an die ich mich nicht mehr erinnere. Arno war als bissige und gefährlich bekannt, dem man besser nicht zu nahm kam und mit dem 'etwas ganz und gar nicht stimmte'. Zwar sei er ein exzellenter Schutzhund gewesen, aber man habe sich vor ihm in Acht nehmen müssen und als er später allzu aggressiv und selbst für einen Nachtwächter nicht mehr zumutbar wurde, habe der Vater (also mein Urgrossvater) ihn schliesslich einem Freund gegeben, der ihn in seinem Auftrag erschossen habe. Selber habe das der Vater nicht gekonnt, er habe trotz allem zu stark an dem Tier gehangen. Rex sei ein herrlicher Hund gewesen, zu dem mein Grossvater allerdings nie eine besondere Beziehung aufgebaut habe. Lux hingegen sei ein guter Hund gewesen.
Als mein Grossvater dann meine Grossmutter kennen gelernt hatte und manchmal bei ihr zuhause vorbei schaute, nahm er ab und zu den jeweiligen Hund mit, weil er ihn gerne in seiner Gesellschaft hatte. Er sei, sagte er jedoch oft, nie mit auf den Hundeplatz gegangen, sein Bruder und sein Vater hätten das besser gekonnt, die wären strenger mit dem Hund gewesen, und ihnen habe er auch aufs Wort gehorcht. Er selber habe den Hund immer einfach nur gemocht, er habe nicht so streng sein wollen mit ihm, er hätte das nicht gekonnt, und habe ihn nicht der Abrichterei wegen verprügeln wollen. Gefüttert wurden die Hunde mit Resten oder Schlachtabfällen.
Die scharfen Hunde wurden meinem Urgrossvater schliesslich tragischerweise auch zum Verhängnis. Eines Nachts, während er in seiner Funktion als Nachtwächter die Strassen patroullierte, erlitt er einen Herzinfarkt. Obwohl Hilfe in der unmittelbaren Nähe war und er wohl hätte gerettet werden können, liessen seine beiden Hunde keinen der Helfer an ihn heran. Man wollte oder konnte die Hunde nicht erschiessen und als der Bruder meines Grossvaters endlich gefunden und herbeigebracht wurde, war es bereits zu spät und mein Urgrossvater tot.
Als mein Grossvater dann später selber eine Familie gegründet hatte, entstand wieder der Wunsch nach einem Hund. Ein rassereiner, rotschimmelfarbener Cocker Spaniel, eine der damaligen Moderassen, sollte es sein. Man suchte und fand also einen bekannten und anerkannten Züchter, der FCI Zuchtpapiere ausstellen durfte. Als man die Welpen besuchte, hiess es, die Kinder würden die Hunde gleich aus der Scheune holen, was auch sogleich geschah. Das Muttertier wurde mit Stöcken zur Räson gebracht, und die Welpen mit denselben auf den Hof getrieben. Da man vom guten Ruf dieser Zuchtstätte ja mehrfach gehört, diese vom Zuchtverein auch ausdrücklich empfohlen worden war und man mit Papieren ja nichts falsch machen konnte, bestellte man also einen Welpen. Eine Abholung, wurde man belehrt, war nicht nötig, obwohl die Familie das ja sehr gerne auf sich genommen hätte. Der Welpe wurde zum bestimmten Zeitpunkt auf dem Postweg angeliefert, verpackt und verschnürt in einem kleinen Pappkarton mit zwei, drei Luftlöchern, aber ohne jegliche Aufschrift oder Vorsichtsmassnahme auf dem Paket, die darauf hingewiesen hätte, dass es sich bei der Fracht um ein lebendes Tier handelte.
Der Welpe verkroch sich während der ersten Tage hinter dem Sofa, stürzte sich aber zähnefletschend und um sich beissend auf den Napf, wenn sich diesem jemand näherte und blieb Zeit seines Lebens unsicher und ängstlich. Die Hündin wuchs heran und konnte nur vorsichtig von meiner Grossmutter und meiner Mutter gebürstet werden, diese biss sie nur selten, alle anderen biss sie zuverlässig. Die Hündin 'verteidigte das Haus' und liess keinen zur Tür herein. Sämtlicher 'Besitz' wurde mit Knurren und allfälligem Beissen verteidigt, was aber als hundetypisch und normal betrachtet wurde. Sie musste bei Besuch weggesperrt werden und tobte im Keller solange dieser da war. Man hatte sich Mühe gegeben, das Tier zu erziehen: zum Zwecke der Stubenreinheit wurde dem Tier die Nase in allfällige Hinterlassenschaften im Haus getunkt und ihm bei schlechtem Verhalten mit der Zeitung einen sanften Klaps gegeben. Bei Spaziergängen zum Fussballplatz riss der Hund sich ab und zu los, was zu einigem Amusement beitrug, stürzte sich auf den Ball und verteidigte ihn vehement. Manch einer spielte danach erst mit einer blutenden Wunde an Hand oder Fuss weiter, manchmal auch mein Grossvater. Als bissig galt der Hund deswegen nicht. Er war ein wirklich geliebtes Haustier ('wir hätten unseren Hund nie geschlagen, entgegen dem, was damals viele taten!') und trug zur Erheiterung aller bei, wenn er verzweifelt versuchte, die Meerschweinchen im Garten davon abzuhalten, sich in verschiedene Richtungen zu bewegen. Gefüttert wurde der Hund mit Hundefutter. Er hatte schon immer Sofas und Sessel für sich beansprucht und verteidigte diese Plätze zähnefletschend. Auch das wurde als normal betrachtet. Leider, wurde mir erzählt, habe der Hund im Alter von sieben oder acht Jahren dann eine Cockerwut entwickelt, die immer schlimmer geworden sei. Man hätte ihn wohl bald einschläfern lassen müssen wenn der Nachbar, mit dem die Familie noch nie ein gutes Verhältnis gehabt habe, das Tier nicht vorher vergiftet hätte. Die Familie trauerte stark um ihr Familienmitglied und erzählte auch lange nach dem Tod ihres geliebten Haustiers oft und gern von ihm. Mein Grossvater und meine Mutter unternahmen gerne lange Spaziergänge mit dem Hund. Mein Onkel, der ebenfalls die Aufgabe gehabt hätte, ihn auszuführen, habe ihn jeweils nur vor die Haustür gestellt, ihm einen Tritt verpasst und ihn dann sich selbst überlassen bis er wieder nach Hause gekommen sei.