Hallo Labradora,
hab deinen Thread gerade erst entdeckt und auch nicht alles gelesen. Ich antworte dir trotzdem mal, so als bekennender Vorstehhund-Liebhaber, die einzigen Hunde, die ich mir in meinem Leben vorstellen mag! Ein bisschen gewartet habe ich ja auf so einen Thread, nachdem du nach Buchempfehlungen (glaube ich?) gefragt hast.
Wir haben immer deutsche Vorstehhhunde im Revier geführt. Mittlerweile ist auch ein Ire dazu gekommen.
Vorstehhunde generell kann ich dir sehr empfehlen, wenn du mit deinem Hund flexibel sein willst und ihn für alle erdenklichen Bereiche einsetzen willst. Meiner Erfahrung nach sind selbst die schlecht ausgebildeten Vorsteher (die man ja leider auch immer wieder auf Treibjagden trifft) überall brauchbar. Für mich die perfekten Vollgebrauchshunde. Meistens wissen sie schon, was sie zu machen haben, bevor man es ihnen beigebracht hat.
Wenn du dich einmal für die Sektion der Vorsteher entschieden hast, ist es in meinen Augen nur noch eine Sache der persönlichen Charaktervorlieben. Die deutschen Vorsteher haben wir fast alle durch. Charakterlich waren sie sich alle sehr, sehr ähnlich. Die deutschen Vorsteher würde ich als "ernste, kernige" Charakterköpfe bezeichnen, sehr triebig in ihrem Arbeitswillen, dabei sehr "korrekt" in der Ausführung, sehr bedacht und konzentriert, sehr zielorientiert. Ihre "kernige Ernsthaftigkeit" macht sie für mich zuweilen, nachdem ich die Italiener und die Iren ausführlich kennengelernt habe, aus. Ich liebe das, ich mag das sehr. Für mich ist das eine sehr ruhige Ernsthaftigkeit, die die Hunde ausmacht. Ich habe genau das bei überdurchschnittlichen vielen Vertretern der deutschen Vorstehhundrassen kennengelernt, unsere eigenen miteinbezogen.
Die Iren (sowohl die roten als auch die rot-weißen) würde ich im Vergleich als "weniger ernst" und "weicher" im Charakter bezeichnen. Der Arbeitswille ist weniger "kernig-triebig", mehr "erwartungsvoll-freudig", wenn du damit irgendetwas anfangen kannst, es ist schwer zu beschreiben. Wo der Deutsche sehr versiert, sehr "ruhig-konzentriert" und "bedacht-zielorientiert" sucht, arbeiten die Iren "unruhiger", mit "schneller Nase" und für Menschen, die die Art und Weise der Iren nicht kennen, mag es auch sehr hektisch wirken. Im Endeffekt bezieht sich das aber nur auf die Art und Weise, wie gearbeitet wird. Ich könnte nicht sagen, dass die einen effektiver arbeiten als die anderen, keineswegs. Nur manche mögen die ruhigere Arbeitsweise der Deutschen lieber, andere die lebhafte Art der Iren (was meiner Erfahrung nach im übrigen auch auf die Gordons und ES zutrifft). Die Iren sind für jeden Spaß zu haben, das macht sie sehr sympathisch. Wer die "Ernsthaftigkeit" der Deutschen nicht so mag, dem wird der lebhaftere, offene Charakter der Setter womöglich mehr zusagen. Einen Vergleich kann man wohl kaum ziehen, aber ich könnte mir vorstellen, dass "eingefleischte Labradorfans" mit einem Iren charakterlich eher das finden, was sie suchen.
Sensibel sind sie alle, man muss das mögen (und sie sind mindestens genauso stur, die Kombi bringt viel Spaß). Wir hatten auch schon Labradore aus Leistungslinie, die aber aufgrund der Vorsteher letztendlich doch nie im Revier geführt wurden (warum, dürfte selbsterklärend sein). In puncto Sensibilität unterscheiden sich die Vorsteher absolut von den Labbis, zumindest ist das meine Meinung. Entsprechend ist das Lernverhalten ein völlig anderes. Man muss sich schon enorm auf den Hund einstellen, darf sich keinen Fehler erlauben, letztendlich wird das damit belohnt, dass nach 3-4 Wiederholungen endgültig klar ist, was Mensch von Hund will und es wird umgesetzt.
Die Iren empfinde ich als noch sensibler als die Deutschen, möglicherweise habe ich aber die falschen Rassevertreter kennengelernt! Auch den Spinone Italiano würde ich als noch sensibler einstufen. Man muss es mögen, kommt bei den Vorstehhunden aber nicht drum herum. Mein "aktueller" ist so sensibel, dass man sich mit einer falschen Bewegung Kommandos für Wochen versauen kann, das mag man oder man hasst es. Es hat Vor- und Nachteile.
Ich könnte dir bzgl. der Vorstehhunde nur schwer eine Empfehlung aussprechen, außer du hast eben charakterliche Präferenzen. Davon abgesehen könnte ich dir, gerade unter den deutschen Vorstehhunden, keinen nennen, den ich nicht empfehlen würde. Die Unterschiede bei den verschiedenen Vorstehhundrassen (egal welcher Nationalität) empfinde ich als sehr marginal (abgesehen vom Weimaraner), sowohl im Charakter als auch im Bereich der "Arbeit". Sie sind sich sehr ähnlich und unterscheiden sich nur in geringfügigen Punkten. Ich mag Vorstehhunde generell und da sie sich so ähnlich sind, könntest du mir von jeder Sorte einen vor die Tür setzen, ich würde ihn sehr wahrscheinlich adoptieren! Ob das nun ein Deutsch Langhaar ist, ein Kurzhaar, ein Drahthaar oder ein Münsterländer.
Im Jagdgebrauch habe ich noch keinen Vorsteher erlebt, der nicht für alles zu haben gewesen wäre. Natürlich sind sie für's Vorstehen gezüchtet, machen alles andere aber genauso gerne - und gut. Das macht sie so beliebt. Wir haben im Revier viel Schwarzwild und Rehwild, vor einigen Jahren haben wir die Hunde auch wg Fuchs und Ente viel gebraucht. Den Dackel dazu, wobei man das nicht braucht, hat sich einfach optimal ergänzt.
Du kannst mit einem Vorstehhund nichts falsch machen, wenn du einen Hund für den Vollgebrauch suchst. Uns haben sie nie enttäuscht! Meinen ersten eigenen habe ich als halbes Kind bekommen - und ausgebildet, wenn auch mithilfe der "Großen". Die Hunde sind sehr führerbezogen. Eigenständig arbeiten - ja, aber erst nachdem ihnen eine Aufgabe zugeteilt wurde. Mein erster Hund war nicht ganz "einfach", aber nicht zuletzt aufgrund der typischen Rasseeigenschaften doch auch für ein sehr junges Mädchen mit viel Passion "machbar" in der Ausbildung und bei der Arbeit im Revier ein Traum. Man musste in kaum instruieren, er lief "wie von selbst", als hätte er nie etwas anderes getan. So wie es sein soll!