ZitatAlles anzeigenLiebes Fräulein Wunder,
schon sehr lange habe ich hier im Forum keinen wirklichen Beitrag mehr geleistet. Dir möchte ich heute ein paar Zeilen hinterlassen und wer weiß, vielleicht findest Du irgendetwas darin, was Dir weiterhilft.
Inzwischen ist es einige Jahre her, das wir unseren Hund gefunden haben. Er war zehn Jahre alt und, vermutlich durch den Tod seiner Besitzerin, schwer traumatisiert worden. Du wirst im Forum viele Beiträge von mir finden, welche die ersten Woche und Monate mit einem Hund beschreiben, der bei jedem zweiten Spaziergang alles-erschütternde Panikattacken erlitt. Du wirst unzählige Diskussionen und Ratschläge finden und erleben, das ich immer wieder glaubte den Königsweg gefunden zu haben, um dann doch in einer Sackgasse zu landen.
Unser Hund hat mir beigebracht, das alle Weisheiten nur Inspiration sein dürfen. Am Ende ist der Hund genau wie Du, ein Individuum, ein Individualist, eine Persönlichkeit. Umso mehr, wenn es sich um ein traumatisiertes Tier handelt - denn dann ist der Hund unter Umständen nicht in der Lage an der Lösungsfindung mitzuarbeiten. Damit meine ich, das mein Hund mich in der Regel viel besser versteht, als ich ihn. Wenn wir also gemeinsam etwas erarbeiten, gelingt dies, weil er sich auf mich einstellt und meine Kommunikationsfehler ausgeleicht. Wenn es aber um eine Traumatisierung geht, müssen wir ggf. alleine den richtigen Ton treffen.
Ob Panikattacken oder Verlustängste - am Ende bedienen sich alle Ratschläge aus dem Pool der propaten Hausmittelchen und Trainingskonzepte. Nur das bei einem traumatisierten Hund die Welt gerne mal Kopf steht - auf dieser Basis kann eine sonst erfolgreiche Ansprache völlig falsch sein und der emotionale Stress verhindert zusätzlich jeden Lernerfolg. Das heißt aber nicht, das es aussichtslos ist.
In Deinem Beitrag lese ich zwischen den Zeilen viel Frustration und Sorge und beides steht Dir zweifelsohne zu. Im ersten Schritt musst Du trotzdem für Dich entscheiden, wie weit Du mit Deinem Hund gehen wirst. Du musst wissen, das es für Dich nur den einen Weg gibt. Den Weg mit Deinem Hund - egal ob sich etwas an seinem Verhalten bessert oder nicht. Diese bedingungslose Entscheidung für Deinen Hund gibt Dir Ruhe, Kraft und Mut - denn ab jetzt gibt es sowieso nur noch den Weg geradeaus. Und zumindest die daraus resultierende Ruhe wird Dein Hund spüren.
Was ein traumatisierter Hund nämlich nicht braucht, ist, ein Mensch der sich durch sein Trauma-Verhalten unter Stress setzen lässt. Wenn es uns schlecht geht, suchen wir auch eine Schulter zum anlehnen. Wenn diese Schulter ebenfalls in Panik verfällt, bricht uns der Boden unter den Füßen weg. Wenn Du Dich aber bedingungslos für Deinen Hund entschieden hast, bist Du auch bereit dieses Trauma-Verhalten notfalls ein ganzes Hundeleben lang zu erleben. Diese Endgültigkeit macht es viel leichter diese Situationen zu ertragen. Frage Dich immer, was kann im schlimmsten Fall passieren. Kinoverzicht, Rauswurf aus der Wohnung wegen anhaltenden Bellens - that's it. Es gibt Filme auf Scheiblette und andere Wohnungen. Selbst das Worst-Case-Szenario ist maximal unangenehm, aber keine Bedrohung für Eure Existenz.
Für mich war das der Knackpunkt. Wir haben so die Sicherheit gewonnen, unserem Hund in seinen schlimmsten Momenten nicht noch zusätzlich zur Last zu fallen, sondern ihm langsam aber sicher eine kleine Stütze zu sein. Wir haben es irgendwann aufgegeben uns aktiv mit Literatur oder Hunde-Experten zu überfordern. Letztlich waren alle Wege sehr logisch und kompetent, schienen aber rein gar nichts mit unserem Hund zu tun zu haben. Ich erinnere mich, das man uns am Anfang von allen Seiten riet, seine Angst zu ignorieren. Wie kann ich die nackte, himmelschreiende Angst meines Hundes ignorieren? Vielleicht ist es in anderen Mensch-Hund-Beziehungen richtig - für uns passte es überhaupt nicht. Ich kann Dir daher nur raten, hör genau auf Deinen Hund. Lerne ihn kennen. Lerne ihn lesen. Lerne ihn verstehen.
Irgendwann kam die Zeit, als wir unseren Hund besser verstehen konnten. Während ich die Angst zunächst erst bemerkt habe, wenn er bereits mitten in der Panikattacke steckte, konnte ich die Situationen jetzt kommen sehen. In unserem Fall habe ich mich - egal wie unpassend die Situation gerade war, und das war sie oft - sofort auf den Boden gesetzt und ihm Nähe angeboten. Noch heute kommt er mit tief gesenktem Haupt auf mich zu und drückt sich richtig in mich hinein. Ich lege meinen Kopf auf seinen und wir sind einfach ein paar Minuten ganz ruhig. Und wenn in diesem Moment das Wasser überkocht, kocht es über. Und wenn jemand sauer ist weil das Essen kalt wird, kann ich daran nichts ändern. Am Anfang hat es die Panikattacken nicht verhindert, null. Um ganz ehrlich zu sein, ich hätte noch nicht einmal für unseren Weg ein Patent-Rezept. Was ich sagen kann, ist, das wir abgesehen von Silvester und Neujahr seit über zwei Jahren ohne Panikattacken leben. Wichtiger noch ist, das wir seit über dreieinhalb Jahren ohne kopflose Panik leben, das heißt unser Hund kommt zu mir oder meinem Freund, wenn er Angst bekommt. Wir müssen also keine Angst mehr haben, das er von ein Auto rennt.
Bitte suche Dir erstmal eine Lösung, welche die größte Not für Dich lindert. Ich könnte mir vorstellen, das Du ihn gut an einen Hundesitter gewöhnen kannst. Nur wenn ihr nicht unter permanenter Anspannung leidet, könnt ihr Euch die Zeit lassen, den richtigen Weg zu finden. Sein Bedürfnis ist, zunächst nicht alleine zu sein. Dein Bedürfnis ist, ruhigen Gewissens arbeiten zu gehen. Probiere es doch einfach mal mit einem Hundesitter aus. Ich denke, das wäre wirklich die allerbeste Lösung für den Moment. Und wenn nicht, würde ich den Job knallhart nur mit Hund antreten.
Toll