Achtung, das wird jetzt seeeehr lang :
Ich schätze, ich hab hier auch so nen Fall... Zolly kommt ursprünglich aus der Smeura in Rumänien. Sie wurde dort geboren und saß vier Monate mit anderen Hunden im Zwinger, dann kam sie nach Deutschland in ein Tierheim und einen Monat später, als sie fünf Monate alt war, hab ich sie geholt. Im Tierheim wurden mit nur allgemeine Informationen gegeben, wie die Rumänen in der Regel so drauf sind (territorial, aktiv, schlau), aber alles händelbar und eine Frage der Erziehung Mir wurde noch gesagt, dass sie noch keine Erziehung genossen hat und eine Hundeschule ratsam wäre. Jo, dachte ich mir, ist ja alles machbar. Ich also den Hund mit heim genommen und festgestellt, dass sie nur Betonboden kannte, da sie sich nicht vom Weg auf die Wiese getraut hat. Ich wusste, dass sie änglich ist, aber ich hab nicht damit gerechnet, dass sie so ne Panik schiebt. Am Anfang war einfach alles schlimm: Türen, Mülltonnen, Fahrräder, Wind, Hoftore, Bänke, und ganz besonders schlimm Menschen. Das meiste haben wir in den Griff bekommen und das hat sie sich auch einigermaßen gemerkt, Menschen sind aber immer noch fürchterlich. Sie muss bei jedem neuen Mensch neu lernen, dass der nicht böse ist. Andererseits, wenn sie ein negatives Erlebnis mit einem Menschen hatte, werden danach alle Menschen, die sie an denjenigen erinnern angepöbelt. Vor ein paar Wochen wollte ein älterer Mann sie streicheln, seitdem werden alle Männer mit grauen Haaren angepöbelt.
Andererseits lernt sie aber schnell und scheint recht schlau zu sein, sie merkt sich sehr gut, wann sie mit welchem Verhalten zum Erfolg (Leckerli) kommt, nur kann sie das nicht auf Situationen übertragen, die anders sind, als die, in der wir geübt haben. Außerdem ist sie super schreckhaft und geht nach vorne, wenn sie Angst hat (das hat sich erst mit der Pubertät entwickelt und ist eine unserer größten Baustellen), weshalb ich sie zur Zeit nur an der Schleppleine habe, was schade ist, weil sie andere Hunde so liebt und am liebsten den ganzen Tag mit ihnen spielen würde und andere Hundehalter in der Regel nicht verstehen, warum ich sie nicht ableinen kann, weil sie auf Menschen, die sich in Begleitung eines Hundes befinden immer freundlich reagiert, auch wenn sie sich nicht anfassen lässt. Von anderen Hunden (mit denen sie ja sehr gut sozialisiert ist) lernt sie übrigens sehr schnell und kann das gelernte auch übertragen, aber was sie von mir lernt ist ne viel zähere Angelegenheit.
Komplette Rückschritte hatten wir aber zum Glück noch nicht. Allerdings kommt es immer mal vor, dass sie gelerntes plötzlich nicht mehr abrufen kann, oder vor einer Situation, die wir schon öfter hatten und die okay war, plötzlich doch wieder Angst hat. Auffällig war für mich neulich eine Situation, als sie Angst vor einem Papierballon hatte, der von einem Baum gefallen war, wo er als Deko von einer Hochzeit am Vortag drin gehangen hatte. Im Baum war er okay, auf dem Boden liegend, musste er mit aufgestelltem Kamm angepöbelt werden. Ich konnte ihr das Teil schönfüttern und dann wars auch beim nächsten Mal, als wir vorbei kamen, okay. Beim übernächsten Mal allerdings, lag das Ding nicht mehr unterm Baum, sondern war an einer anderen Stelle vom Park an einen Pfosten gebunden: Gleiche Reaktion wie beim ersten Mal, das Ding war super gefährlich und musste verbellt werden. Und so ist das mit allen möglichen Dingen. Auch mit Menschen, gehen sie nur an uns vorbei, ohne Zolly zu beachten, ist das gruselig, aber akzeptabel. Befinden sie sich an Orten, wo normalerweise kein Mensch ist, werden sie heftigst angepöbelt (z.B. Angler abseits von Wegen). Das Gleiche, wenn sich Menschen komisch benehmen, laut sprechen, gehbehindert sind, Kinder die tollpatschig oder laut sind oder einfach, wenn jemand etwas trägt. Außerdem gehört alles was Beine hat auf den Boden. Hunde die getragen werden, würde sie am liebsten vom Arm runter holen, das kann sie gar nicht ab, weil sie das nicht kennt. Außerdem findet sie extrem keine Hunde komisch (vor bellenden Chihuahuas hat sie Angst), die hat sie nicht kennen gelernt, als sie in TH-Zwingern saß, da waren die Hunde so groß wie sie oder größer oder nur minimal kleiner. Dafür sind pöbelnde Hunde absolut kein Grund zur Aufregung, man macht vielleicht einen Bogen um sie rum, ansonsten werden sie ignoriert. Das ist was, was ich total genieße, wenn ich mit meiner Kröte spazieren gehe. Ich kann an noch so vielen Hoftoren mit kläffenden Hunden vorbei gehen, das juckt sie nicht im geringsten. Treffen wir unterwegs einen Leinenpöbler, wird der auch ignoriert, das ist für mich super entspannend, weil sie sonst zu jedem Hund hin will und nen Aufstand startet, wenn sie nicht darf...
In der Hundeschule (ist eigentlich ein Verein, aber ich bin nicht Mitglied) hat sie manchmal gute Tage, dann wird sie von allen Seiten gelobt und ich hab das Gefühl, sie hat morgens nen Streber gefrühstückt an anderen Tagen, ist sie super abgelenkt und bekommt es nicht mal auf die Reihe, mich kurz anzusehen, weil man die ganze Zeit auf Hab-Acht-Stellung sein muss und ich kann wirklich nicht sagen, warum sie so unterschiedlich reagiert, weil eigentlich nichts anders ist als sonst auch.
Am anstrengendsten finde ich allerdings die anderen Hundebesitzer, die nicht verstehen, warum es mit ihr halt etwas schwieriger ist, oder auch Leute ohne Hund, die erwarten, dass man, wenn ich mit Hund ankomme, diesen auch streicheln kann. Am genialsten find ich immer: "Ja, dann musst du den mal besser erziehen." Die Leute verstehen einfach nicht, dass das nicht so einfach ist und man im Prinzip jede Situation, die sich von einer bekannten nur minimal unterscheidet, neu lernen muss. Ich hab kein Problem damit, wenn das alles länger dauert. Die Maus ist noch jung und wir haben noch ganz viel Zeit zum üben und ich freu mich über die kleinen Schritte die sie macht (z.B. hat sie erst vor ein paar Wochen das erste Mal eine Streicheleinheit von sich aus eingefordert, ich hab sie jetzt seit sechs Monaten und Schmusen musste sie auch erst lernen). Wenn sie mal was nicht leisten kann an einem Tag ist das okay, dann machen wir es halt am nächsten Tag. Aber die meisten Leute mit denen man sich darüber unterhält, können das nicht verstehen, fänden das für sich zu anstrengend oder können nicht akzeptieren, dass es dafür keine schnellen Lösungen gibt und sind überrascht, wenn sie beim dritten Mal treffen immer noch angebellt werden, weil so langsam müsste sich der Hund doch mal an Menschen gewöhnen. Leider nehmen sich nur wenige die Zeit, sich von mir erklären zu lassen, was für ein Problem hinter Zollys Verhalten steckt. Meistens komm ich nur bis "naja, sie kommt ursprünglich aus Rumänien, wurde da im Tierheim..." spätestens da werde ich unterbrochen: "ach ja, aus Rumänien? Ja dann hat die ja ganz schreckliches erlebt, ist ja klar, dass die dann Probleme hat. Na sie wir ja lernen, dass das hier anders ist." Meine Erklärung, dass sie eben nichts schreckliches erlebt hat und das in gewisser Weise das Problem ist, wird dann nicht akzeptiert, weil die Leute nicht verstehen, dass gar nichts erleben mindestens zu genauso großen Problemen führen kann. Stattdessen wird dann ein riesen Mitleidsfass aufgemacht und der Hund vollgetextet und gelockt
Natürlich hab ich mir meinen ersten Hund auch anders vorgestellt, aber es ist nun eben, wie es ist. Ich weiß nicht, ob ich mir wissentlich nochmal den selben Hund holen würde, wenn mir klar wäre, was da auf mich zu kommt, aber die Frage stelle ich mir gar nicht, denn sie ist jetzt hier und sie ist traumhaft. Wenn sie einen mit glitzernden Augen anschaut, weil sie gerade einfach nur Spaß am rennen und spielen hat, dann kann ich mir gar nicht vorstellen, einen anderen Hund an der Leine zu haben. Ich sehe ja auch, wie sie mir nach und nach immer mehr vertraut, ich bin IHR Mensch und sie freut sich so dermaßen, wenn wir zusammen Spaß haben, das ich gar nicht weiß, ob mir diese Momente so bewusst wären, wenn sie nicht solche Probleme hätte. Klar, gibt es Momente, in denen ich sie am liebsten an die Wand klatschen würde, aber das wäre wahrscheinlich bei jedem Hund in dem Alter der Fall Tatsache ist aber auch, dass ich mir nen Ast freue, wenn sie ganz ausgelassen, fröhlich am Rumtollen ist, auch wenn das bedeutet, dass sie im nächsten Moment sich wieder irgendeinen Unsinn ausdenkt, weil sie dann vollkommen unbeschwert und völlig "normal" wirkt, das sind richtig großartige Momente!
So, danke an alle die den ganzen Kladderadatsch bis zum Ende gelesen haben
Liebe Grüße,