Ich habe ein ungutes Gefühl, Hunde (und auch Katzen) vor sie völlig ausgewachsen sind zu kastrieren. Ich habe Angst, dass sich der Hund dann anders entwickelt, anders wächst, vom Verhalten her anders (kindlicher?) bleibt, als die Natur das eigentlich vorgesehen hat.
Ich kenne mittlerweile vier Labradore näher, von denen ich weiß, dass sie alle im Alter von 7-8 Monaten (aus Bequemlichkeit) kastriert wurden. Heute sind die Hunde zwischen 4-6 Jahren, es sind drei Rüden und eine Hündin.
Sie wirken und verhalten sich tatsächlich irgendwo auffallend kindlich bzw. welpisch, im Verhältnis zu intakten Tieren in diesem Alter. Es sind keine richtigen Persönlichkeiten, wenn man das mal so sagen darf. Positiv ist natürlich die kindliche Arglosigkeit, die bleibende Bewegungsfreude und die Lust am Spielen, Toben usw., sofern man dies fördert. Genau so wie die Friedfertigkeit anderen Hunden gegenüber. Sie scheinen sehr unproblematisch in der Haltung, was für viele Halter eben ein Grund sein kann, diesen Schritt zu gehen. Wundert mich nicht, denn z.B. fast vierzig Kilo intakter Rüde an der Leine kann sehr unbequem werden.
Sehr negativ empfinde ich bei den männlichen kastrierten Hunden die Opferrolle, von der man ja auch immer wieder liest und hört. Die o.g. drei Rüden die ich kenne, lassen sich tatsächlich von entsprechend aufdringlichen Rüden widerstandslos verdrängen, bedrängen und berammeln. Unser Charly bekam mit ca. 22 Monaten seinen ersten 6-Monats-Kastrations-Chip und er verhält sich seitdem ähnlich, zumindest manchen Rüden gegenüber, die machen mit ihm den Hansel - diesbezüglich bin ich froh, wenn der Chip seine Wirkung verliert. Ein kastrierter Rüde hat offenbar eine sehr hohe Anziehungskraft auf intakte Rüden. Die ausgestrahlte Devotheit schürt scheinbar auch eine gewisse Aggression auf der intakten männlichen Gegenseite, wenn es sich um einen Raufbold handelt, der eben gerne stänkert und Rüden herausfordern will. Fordert also einen Machtkampf, den ein Kastrat in diesem Sinne nicht leisten kann/will. Andere Kastraten und weibliche Tiere verhalten sich dagegen auffallend neutral und friedlich einem Kastraten gegenüber - das sind meine Beobachtungen.
Die kastrierte Hündin, die ich seit längerem kenne, ist im Gegensatz zu den früh kastrieren Rüden sehr sehr sehr zurückhaltend, sie spielt nicht, sie meidet Hundekontakte, sie ist wie unsichtbar. Schade, sie ist erst vier Jahre alt und läuft in unserer im Schnitt 7-10-köpfigen Gassimeute mit, beschäftigt sich aber kaum mit einem anderen Hund, und wenn, dann sind es nur Hündinnen. Sie ist entweder direkt an Frauchens Seite oder steht/tappt abseits, während die anderen Hunde miteinander aggieren. Wobei auch das Erziehungs-/Haltungssache sein kann - der Kontakt zu Artgenossen wurde ihr lange Zeit nicht ermöglicht und wurde vielleicht verlernt? Ein ähnliches zurückhaltendes Verhalten habe ich aber schon öfter bei kastrierten Hündinnen beobachtet.
Ich denke, wenn der Hund früh kastriert ist, sollte man ein besonderes Augenmerk darauf legen, dass er sein Selbsbewusstsein nicht verliert, ihn motivieren und stärken, sich nicht alles gefallen zu lassen - ihm bewusst passende Sozialkontakte verschaffen. Persönlichkeitsentwicklung fördern. Sicher gibts auch entsprechende Trainingsmöglichkeiten, wie er sich bei Bedrängung zu verhalten hat, um nicht in die Opfer bzw, Außenseiterrolle zu rutschen. Da ist also der Halter gefragt ...
Es ist natürlich auch so, dass manche Halter gar keinen Wert darauf legen, dass der Hund soziale Kontakte hat, im Sinne von "Freizeit und Spaß für den Hund beim Aggieren mit anderen Hunden/Hundegruppen". Sie wollen einfach nur einen Begleiter der in der menschlichen Umwelt funktioniert, unauffällig bleibt, andere Hunde in Ruhe lässt usw. und ohne Frage ist das vermutlich durch die Kastration viel einfacher zu erreichen, als wenn man den Hund intakt lässt.
Ansonsten sind ja inzwischen die gesundheitlichen Risiken als Folge der Kastration bekannt und nachgewiesen - man kann dies auf zig Websiten - auch von Tierärzten - im Web nachlesen. Nicht umsonst gilt die Kastration bei Hunden mittlerweile als "Verstümmelung", die lt. Tierschutzgesetz verboten ist, es sei denn, sie ist aus medizinischen Gründen notwendig ... was natürlich ein Leichtes ist, diese anzuführen: Fressunlust, Aggressionen, sexuelle Frustration, Sabbern, Aufgeregt sein bis zum Herzkasper usw.
Bei meinen Katern und Katzen warte ich seit mehr als 20 Jahren immer die erste Rolligkeit, bzw. das erste Markieren ab, bevor kastriert wird. Die individuelle Persönlichkeit der Tiere lässt sich so besser erhalten, als beim Frühkastrieren bzw. Pauschalkastrieren um den 6. Lebensmonat.