Ich denke, Du machst Dir viel zu viel Gedanken - man kann nicht alle Szenarien im Kopf durchspielen um im Fall des Falles richtig zu reagieren.
Ich geb trotzdem mal meine Erfahrung kund.
Situation 1: Geht man aneinander vorbei und gut ist. Ein Kontakt wird ja nicht stattfinden, wenn beide HH es nicht wollen - warum auch immer.
Situation 2: Wenn ich sehe, ein entgegenkommender HH leint an, leine ich auch an. Der wird schon seine Gründe haben oder ich hab Gründe. Oder es sind beide einfach nur vorsichtig, man weiß ja nie - abgesehen gehört es zum Hundehalter-Anstand. Und dann wird das schnell geklärt und entsprechend gehandelt. Besteht kein Interesse von einer Seite, dass sich die Hunde im Freilauf amüsieren, merkt man das schnell. Da wird abweisend ein Bogen gegangen oder in der Entfernung stehen geblieben, bis der andere Hund vorbei ist. Sollen die zwei sich kennenlernen, wird das zwischen den HH verhandelt - das ist noch nie kompliziert gewesen.
Ich halte gar nicht viel von sich erst mal beschnuppern lassen an der Leine. Bei zwei Welpen geht das ja noch ganz gut, die sind meist ohne Arg, aber bei erwachsenen Hunden, kann das bös ins Auge gehen. An der Leine sind viele Hunde unberechenbar und ruckzuck sind sie im keifenden Knäuel. Also, entweder leinen beide Halter in einiger Distanz ab und überlassen den Hunden ihr Kennenlernen oder eben nicht, dann geh ich weiter. Brauch keine kontaktfreudige fast vierzig Kilo, die umbedingt wo hin wollen ...
Das "Schau her" ist eine wunderbare Sache ... allerdings finde ich gerade dann, wenn zwei, sich fremde Hunde, aufeinander zugehen, sich abschätzen, die Reaktion des anderen "lesen" wollen, eine solche Ablenkung nicht so gut, abgesehen davon, dass sie meist eh nicht funktioniert - den eventuellen "Feind" will hund doch nicht aus den Augen verlieren, denn zumindest mein Hund will wissen, ob der andere okay ist oder nicht, um sich entsprechend zu verhalten. Also lasse ich ihm die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, ob er freudig interessiert ist oder eben nicht und lenke ihn eben NICHT ab. Sitz oder Platz muss er aber machen.
Beide Seiten im Auge zu behalten, das ist die Aufgabe der Halter. Die kennen ihren Hund am besten und können abschätzen, ob man jetzt besser den Rückzug antritt oder Leine los, weil alle Zeichen positiv sind.
Ich lasse natürlich meinen Welpen oder unerfahrenen Junghund nicht zu einem abweisenden zähnefletschenden Hund ... Da treffe ich alleine die Entscheidung - aber ich vertraue auf die Zeit - irgendwann wird mein Hund wissen, dass nicht alle Hunde "nett" sind und er wird die Zeichen der anderen Seite deuten lernen.
Wir sind mit dem Vertrauen in unseren Hund und dem Glauben an die Kommunikationsfähigkeit von Hunden bisher sehr gut gefahren - da ist der Vorteil der extrem freundlichen Rasse Labrador auf unserer Seite natürlich von enormem Vorteil. Nach sicher über 300 Hundebegegnungen im ungeplanten oder zugelassenen Freilauf ist bis auf 3 mal nichts ernstes vorgefallen. Und bei den 3 mal biss die andere Seite ohne erkennbare Vorzeichen zu. Das war die Situation Jungrüde zu Altrüde oder Jungrüde stürmt frech in ein Rudel ... eine Zeit, wo man dreifach umsichtig sein muss, aber dennoch kann eben was passieren. Dann ist das eben so. Deshalb übervorsichtig zu werden und lieber generell keine oder nur wenige und nur arg halterkontrollierte Kontakte zuzulassen, halte ich für falsch.
Hunde können lernen - wenn man sie lässt. In unserem Umfeld gibt es jedenfalls zu 95% friedliche Hunde, die man beruhigt frei laufen lassen kann. Die Halter sind locker und freuen sich, wenn alle miteinander klar kommen. Und oft ist es wirklich so, dass die Hunde, die an der Leine den Dicken machen, im Freilauf total harmlos sind und es genießen ihrem Vergnügen "Hundebegegnung" ohne Leine nachkommen zu dürfen.
Unser Charly ist mit sehr viel Freiheit aufgewachsen und ist schnell ein souveräner Hund geworden, der mit allen klar kommt - im Freilauf. Ist er an der Leine, kann er allerdings mal recht großmäulig werden, je nachdem wie die andere Seite so drauf ist. Noch ist das wahrscheinlich der Pubertät zuzuschreiben. Wir machen ihm immer wieder klar, dass dieses Verhalten nicht gewünscht ist ... es ist auch schon weniger geworden. Auch an der Leine muss man sich benehmen lernen ... ;-)
Zu Situation 3: Schleppleinentraining ist sicher für das ein oder andere gut - aber nicht wirklich für Hundebegegnungen. Nicht schön anzusehen, wenn dann gespielt und getobt - oder geflüchtet - wird und einer rast bis zum Würgen in die Leine oder die Hunde verwickeln sich im Schleppleinengewirr - ungünstig ist, fühlen sie sich plötzlich bedroht und eingeengt.
Wenn Du die Schleppleine zum Training einsetzen willst, dann geh dorthin, wo keine anderen Hunde sind. Auch der Rückruf ist am besten ohne jede Ablenkung zu üben, bis er weitgehend sitzt. Wobei er natürlich total versagen kann, wenn ein spannendes Hundegegenüber am Horizont auftaucht. Da darf man einfach nicht zu schnell zu viel erwarten und muss auch mal fünf Augen zudrücken.
Zumindest dann, wenn man einen friedlichen Hund an seiner Seite hat, der im Alltag ganz gut funktionieren soll .... und man keine Perfektion erwartet. Hunde sind auch nur Menschen ... ;-)