Ich kann deine Probleme absolut nachvollziehen. Ich habe ja hier auch seit 3 Monaten so eine hibbelige, teilweise nervöse, junge Dame sitzen und bei ihr waren es am Anfang ganz genau dieselben Probleme und sind sie teilweise heute noch, obwohl einiges schon deutlich besser geworden ist.
Als wir sie abholten aus ihrer Pflegestelle sagte man uns auch, dass sie Probleme mit der Stubenreinheit hätte und ständig Durchfall, was ihrer nicht vorhandenen Darmflora zu schulden wäre. Aber sie machte auf mich auch eher einen überdrehten, sehr unsicheren Eindruck; sie musste zu jedem Hund hinrennen, jeden Menschen anspringen, in jedes Gebüsch hopsen und überall nachschauen, ob eventuell von irgendwoher Gefahr drohte. Sie war einfach massiv überfordert und mit den für sie beängstigenden Situationen allein gelassen worden.
Das Erste, was sie also lernte war - Ruhe zu halten. Das ist mir unheimlich wichtig, ich möchte keinen nervösen, aufgedrehten Hund in meiner Wohnung. Ich bin selbst sehr häufig nervös und fahrig, da würde mich ein Hund, der ständig aufgekratzt in der Wohnung herumirrt, wahnsinnig machen. Die Wohnung soll für sie einen sicheren Ort darstellen, in dem sie zur Ruhe finden kann und die Eindrücke von draußen verarbeiten. Mehr nicht. Essen, dösen, schlafen. Langweile pur also. Und die ersten Wochen waren von mir ganz streng reglementiert. Geschlafen und gedöst wurde in ihrem Korb und wenn sie sich in der Wohnung umsehen durfte, dann nur mit mir (lag auch teilweise am Kater, ich wollte kein Risiko eingehen, dass die beiden ernsthaft aneinander geraten aus purer Unsicherheit der Beiden). Ich zeigte ihr ein paar Orte, ich bestimmte wie lange sie sich dort aufhalten durfte und was sie dort machen durfte und zeigte ihr gleichzeitig welche Orte für sie tabu waren/sind. Ansonsten wird sie mehr oder minder "ignoriert". Draußen hat sie meine komplette Aufmerksamkeit, das ist "ihre" Zeit; in der Wohnung muss ich aber auch noch andere Dinge machen, bei denen sie nur stören würde, wenn sie aufgeregt zwischen mir herum wuseln würde. Sie darf zugucken (durfte sie in der ersten Woche auch nicht, da war es mir ganz wichtig, dass sie auf ihrem Platz bleibt, wenn ich sie nicht richtig im Blick behalten konnte, eben wegen dem Kater), sie darf mir aber nicht auf Schritt und Tritt folgen (das macht mich wahnsinnig). Und in der Anfangszeit wurde in der Wohnung ein paar ganz einfache Dinge geübt für vielleicht 1-2 Minuten. Grundlegendes halt, für den Alltag: Sitz, Platz, Bleib, Nein, Aus, Schau (für mich eines der wichtigsten Kommandos im Alltag überhaupt)... Das war's. Impulskontrolle über Futter auch, denn ich möchte in Ruhe das Futter vorbereiten dürfen und ihr hinstellen und selbst mein Kater hat das verstanden. Erst sitzen, warten, auf Freigabe dürfen beide an ihr Futter. Und wenn das selbst eine Katze lernen kann, dann ein Hund erst recht. Nur Mut. Gespielt wird heute noch nicht wirklich in der Wohnung. Mal ein ganz kurzes Rangeln um ihr Kuscheltier, aber sobald ich merke, dass sie beginnt zu überdrehen, breche ich das Spiel kommentarlos ab und widme mich wieder anderen Dingen.
Und was soll ich sagen? Sie hat mir nicht einmal in die Wohnung gemacht bisher und auch keinen Durchfall mehr (wir haben hier ihr Futter aber auch auf hypoallergene Ernährung umgestellt und bleiben auch dabei. Sie mag es, sie verträgt es sehr, sehr gut und alle Mittelchen konnten wir weglassen).
Draußen sind wir in den ersten Wochen wirklich nur an kurzer Leine das "Revier" abgelaufen. Und das hat ihr bereits gereicht. Sie war jedes Mal (im positiven Sinne) platt wenn wir wieder drin waren. Dann hat sie zum Runterfahren noch eine Knabberei bekommen (ist ein Ritual bei uns; nach dem großen Spaziergang mittags bekommen der Kater & sie jeweils etwas zu knabbern und dann ist wieder Ruhe). Erst nach und nach haben wir Futtersuchspiele eingebaut und später an der Schlepp wichtige Kommandos für den Freilauf geübt. Fremde Menschen ignoriert sie mittlerweile weitestgehend, selbst wenn diese sie versuchen zu locken & das, obwohl sie am Anfang wirklich jeden Menschen angesprungen hat (aus purer Unsicherheit im Übrigen - Frei nach dem Motto: Ich gehe lieber gleich hin, zeige mich unheimlich nett und freundlich und dann tut er mir nichts. Mit Dominanz hatte das wenig bis überhaupt nichts zu tun; sie war unsicher und diese Unsicherheit muss man als Hundeführer dem Hund nehmen, dass er es eben nicht mehr nötig hat, nett zu Fremden zu sein, denn da ist jemand, der das für mich regelt und wenn jemand mir Böses will, dann ist da mein Chef, der die bösen Buben verjagt). Wie haben wir das gelöst? Nun, zum Einen ist es eine Frage des Vertrauens und Vertrauen wächst mit der Zeit und die Zeit ist hierbei dein bester Freund. Gib deinem Hund die Zeit, die er braucht, um sich an alles zu gewöhnen und zu verinnerlichen und sei so verlässlich für deinen Hund, wie nur irgendwie möglich. Das ist die Basis für gutes Training. Baue ein Abbruchsignal langsam auf, zB ein Nein oder was du halt so nehmen möchtest und beobachte deinen Hund. In der Anfangszeit haben wir das so aufgebaut, dass wir dann einfach die Richtung gewechselt haben ohne ein spezielles Kommando. Einfach völlig unvermittelt vor den Hund getreten und ihn körperlich abgeblockt um die Richtung zu wechseln (oder wenn das nicht ging, dann einfach zur Seite, Abstand zwischen der bedrohlichen/aufregenden Situation und uns gebracht, den meisten Hunden hilft es bereits wenn sie sich aus sicherer Entfernung alles beschauen können und einfach nicht mehr in direkter Konfrontation sind und keine Zeit mehr haben um "nachzudenken" sondern irgendwie handeln müssen) und dann mein Lieblingswort: "Schau!", den Fokus also auf mich gelegt. Erst nachdem das bedrohliche Objekt ein paar Meter weg war, durfte sie hinterher gucken und schnüffeln und siehe da, es war mit einem Mal nicht mehr interessant. Kurz geschnüffelt, für unspannend/ungefährlich bewertet, weiter. Und das haben wir ... Gefühlt ewig trainiert und machen das heute immer noch. Es gibt Tage, da klappt das schon alles sehr souverän und wir kommen ohne Aufregung nach Menschen, Rollatoren, Kinderwägen, Kindern, etc vorbei und Tage, da ist sie einfach "schlecht" drauf und wir müssen wieder ausweichen. Das ist aber völlig normal; immerhin ist es ein Lernprozess.
Bei Hunden haben wir es genauso gemacht, wobei es ihr bei Hunden noch deutlich schwieriger fällt als bei Menschen. Was uns auch geholfen hat - Beim Passieren einfach ein bisschen längere Leine geben, sodass sie einen Bogen um den anderen Hund laufen kann (Hunde gehen nie direkt und frontal aufeinander zu/aneinander vorbei; das wird als Bedrohung und ggf. als Angriff gewertet). Bei manchen Hunden klappt das schon ganz gut mit ihr, bei anderen eher nicht. Aber wir üben fleißig und wir sind mit den Ergebnissen bereits hochzufrieden. Es sind ja immerhin erst 3 Monate in denen sie bei uns ist.
Und im Freilauf fordere ich eigentlich nur die Dinge von ihr ein, die mir wichtig sind - Rückruf & Stehen Bleiben. Feld ist ihre Freizeit, mehr oder minder, da darf sie auch mal abfallen, vorlaufen etc. Und auf dem Feld sind ihr andere Hunde völlig egal (etwas, was vor 3 Monaten noch undenkbar gewesen wäre). Sie ist dann einfach ganz bei sich und ihre Umwelt und ich sind ihr dann da einfach wichtiger, als andere Hunde oder Menschen. Gut, wenn andere Hunde da dann gerade rennen oder spielen, da gehen mit ihr noch die Pferde durch und sie muss die Gelegenheit packen und auch mal mit spielen. Aber hey, Impulskontrolle bei einem jungen Hund erfordert Zeit und Geduld und nicht alles klappt immer perfekt. Auch hier ist es wieder so - Viele Dinge regeln sich auch mit der Zeit, also lass sie ein bisschen für dich arbeiten.
Und das mit der Langeweile - Skully macht auf mich keinen sonderlich unterforderten Eindruck. Sie ist deutlich ausgeglichener und zufriedener. Es gibt einfach diverse Hundetypen und Charaktere, wie beim Menschen auch. Die einen mögen den Gleichklang und schnöden Alltag, in dem sich kaum etwas verändert und, die mit neuen Situationen absolut überfordert sind und gut auf sie verzichten können (das ist sie) und Hunde, für die kann es nicht zu stressig und zu laut sein, sie stecken das einfach besser weg und sich schon vom Grundcharakter her ausgeglichen und souverän (das war ihre Vorgängerin). Man muss sich auch auf den Hund einstellen können und ihn so nehmen wie er ist.