Dein Hund kann nur lernen, wenn er mental ansprechbar ist. Also nicht zu nah dran. Aber durch vermeiden kann er auch nichts lernen. Ziel muss ja sein, mit dem Reiz klar zu kommen.
Stell dir drei Zonen vor
Grüne Zone: Der Hund ist entspannt, locker, ansprechbar. Er reagiert auf dich (ohne dass du laut werden musst oder Leckerlie vor die Nase hälst) und orientiert sich an dir. In diesem Zustand kann er lernen (also gute/schlechte Konsequenzen mit Ursachen verknüpfen und sein Verhalten in Zukunft anpassen)
Gelbe Zone: Der Hund reagiert auf einen Reiz. Spannt sich an, schaut, zuckt zurück, hüpft herum, bellt, was auch immer. Er orientiert sich nach aussen - ist aber noch ansprechbar für dich. Reagiert auf seinen Namen, ist noch in der Lage, Futter anzunehmen oder reagiert ggf. auf Zurechtweisung (wie in Aoleons Beispiel). Aber es braucht eben deutlich mehr Anstrengung von dir.
In diesem Zustand kann der Hund auch noch lernen, zwar weniger effektiv, aber es kommt noch was an.
Rote Zone: Nix geht mehr. Hund ist mental "weg". Bei Unsicherheit oder Angst ist das besonders problematisch, aber der Hund kann auch in die rote Zone kommen, wenn er auf Wild reagiert, im Spiel hochpuscht, vor lauter Freude, aus Müdigkeit.
In der roten Zone ist kein Lernen mehr möglich. Irgendwelche Massnahmen brechen evtl das Verhalten ab, aber der Hund wird die Erfahrung nicht auf die nächste, ähnliche Situation anwenden.
Jetzt kommt es erst mal drauf an, überhaupt eine Grüne Zone zu haben. Ihr habt die evtl. im Dunkeln gar nicht. Mal drauf achten, wann und wie oft dein Hund wirklich "grün" hat.
Gute Grunderziehung (Abläufe, die einfach in Fleisch und Blut übergegangen sind) erweitert die grüne Zone enorm. Vertrauen. Alternativverhalten einüben. Ruhe des Hundführers. Eine gute Leinenführigkeit - wie oben beschrieben, der Leinenradius selbst sollte eine "grüne Zone" für den Hund sein: An der Leine = kein Stress, hier kommt nix rein, keine Aufregung, nix.
Ohne grüne Zone ist es schwierig, daher heisst es immer "ohne Ablenkung üben!" d.h. die grüne Zone festigen und dann erweitern (mehr Ablenkung). Und jetzt kommt Annäherung und Rückzug: Wenn man sich in die gelbe Zone vorwagt, immer wieder in die grüne Zone zurück gehen. So wird immer mehr gelbe Zone nach und nach grün. Weil auf GELB immer gleich wieder GRÜN folgt. Aber: man muss sich auch immer wieder in gelb vorwagen.
Junge Hunde leben draussen quasi in Dauer-Gelb, müssen Grün erst mal lernen. Daher z.B. intensiv das Anschauen und auf den Namen reagieren in der Wohnung üben, damit man damit eine "Grün-Insel" der Ansprechbarkeit hat.
Und drinnen Ruhe, damit dort eben Dauer-Grün herrscht.
Jedes bisschen Impulskontrolle und Frustrationstoleranz ist ein bisschen mehr grün.
Und viele merken nicht, dass ruhig sitzen oder liegen viel anstrengender ist für den Hund als sich weiter zu bewegen - also kann schon Absitzen lassen bei einem Reiz bedeuten, dass das Hundehirn gelb wird. Muss man gut drauf achten, genau beobachten, wie der Hund am besten klarkommt.
Von Gelb zu Rot ist es schwieriger. Da kommt eben die Distanzvergrößerung ins Spiel. Rot gilt es zu vermeiden, weil der Hund da nicht lernen kann. Wenn man aber immer sofort ganz nach grün zurückgeht (immer größere Bögen läuft), kann er auch nicht lernen, weil man ja den Reiz nicht mehr hat.
Jetzt muss man in jeder einzelnen situation halt schauen, wie weit man in Gelb noch klar kommt, ohne in Rot zu kippen. So nah an den Reiz, wie es noch geht und der Hund noch reagiert, aber nicht näher.
Wenn du dir vorher ein gutes Grün gebastelt hast (der Hund sehr gut auf seinen Namen hört, die Leinenführigkeit gut ist, die Leine selbst eine grüne Zone ist, der Hund auf deinen Schutz vertraut und deine Grenze - darf nicht an Frauchen vorbei Richtung Reiz - verinnerlicht hat), umso besser kommst du dann in der gelben Zone klar.
Wenn du es schaffst, an dem Reiz in gelb vorbeizukommen, ohne nach Rot zu kippen, kann der Hund in der Situation lernen und es wird beim nächsten Mal (oder beim überüberübernächsten Mal) besser. Er ist noch lange nicht grün - aber die gelbe Zone wird nach und nach ein bisschen breiter und schiebt damit die rote Zone zurück. Und von gelb geht es immer leichter nach Grün.
Was ist daran jetzt anders, als Rot von vornherein zu vermeiden und immer auf Grün zu bleiben?
Das versuchst du jetzt. Man kann aber die Grenze zu Rot nur zurückschieben, wenn man in Gelb arbeitet. Von Grün aus geht das nicht. Die Auseinandersetzung mit dem Reiz muss stattfinden. Wenn das nicht passiert, wird Rot einfach immer größer. Reize werden nicht abgearbeitet, sondern bleiben in der Rot-Zone, und je öfter das passiert, umso mehr neues wird als Rot einsortiert. Wenn Erfahrungen häufig gemacht werden, bilden sich im Hirn regelrechte Autobahnen, die dann immer wieder "genutzt" werden. Das Verhalten festigt sich.
Gelb ist einfach Abchecken wollen - und latente Flucht/Kampfbereitschaft. Die legt der Hund nur ab, wenn er immer wieder die Erfahrung macht, dass er sie gar nicht braucht. Die Erfahrung muss er aber machen dürfen. Glaubhaft! Ein fluchtbereites Frauchen bestätigt die Unsicherheit, genauso wie in die Leine packen, laut werden, selbst den Reiz fixieren, schnelle Atmung.
Dass so viele Hunde an der Leine in Gelb oder Rot fallen, liegt meiner Meinung nach daran, dass sie an der Leine eben doch problematische Erfahrungen gemacht haben. Sie sind in ihrer Bewegung eingeschränkt, daher zeigen sie sehr bald nur noch Kampfbereitschaft, denn Flucht geht ja nicht. Sie erleben Stress, weil die Leine zu kurz genommen wird oder sie im Dauerzug laufen, weil sie es nicht gelernt haben. Gelb Gelb Gelb ROT.
Daher finde ich eine gute Leinenführigkeit und Leine als Ruhezone ohne Kontakt so immens wichtig.