Hallo in die Runde,
ich muss mir mal etwas von der Seele schreiben… .
Unsere Nachbarn (um die 70) kauften sich vor 5 Jahren einen Retriever (ich nenne ihn jetzt einfach nur "Hund" hier. Wer weiß, wer hier noch mitliest... ;-) bzw. der Lebensgefährte überraschte sie mit einem Welpen. Sie fand eigentlich, dass sie zu alt für einen Welpen sind.
Da unser Filou nicht mit unkastrierten Rüden verträglich war, hatten wir die ersten Jahre kaum Kontakt, da wir ihnen eher aus dem Weg gingen. Nachdem unser Filou starb, ergab sich nach und nach zunehmend mehr Kontakt und wir sprangen auch hin und wieder mal als Gassigeher und Hundesitter ein. Aber das war die Ausnahme.
Nun wurde das Frauchen, das die Hauptbezugsperson ist, im Herbst letzten Jahres sehr krank. Sie hat massive orthopädische Probleme, läuft am Rollator und liegt viel im Bett. Abgesehen davon, dass der Hund in einem Raucherhaushalt lebt (was für mich ganz schlimm ist) hatte er es soweit bislang ganz gut. Ist top sozialisiert, wurde von ihr (mehr oder weniger) ausgelastet, bekommt gutes Futter, muss kaum alleine bleiben, wird vom Frauchen sehr geliebt.
Frauchen bemüht sich nach wie vor, dass ihr Hund seit sie sich nicht mehr kümmern kann, dennoch Auslauf hat. Sie hat einen netten Rentner engagiert, sodass ihr Hund dreimal täglich raus kommt. Zwar langsame Runden und nicht allzu weit (der Mann ist selbst nicht mehr so gesund), aber immerhin.
Als wir vor einigen Monaten mitbekamen, dass Frauchen gar nicht mehr mit ihm raus kann und zudem 8 Wochen ins Krankenhaus musste, bot ich an, ihren Hund öfters mal zum Laufen abzuholen, was sie dankbar annahmen.
Dann kam Corona und ich hatte berufsbedingt viel mehr Zeit und holte ihn (oft gemeinsam mit meinem Mann) fast täglich ab zum Laufen. Machte Apportiertraining mit ihm, setzte ihn ins Auto und fuhr mit ihm ins Gelände (sonst läuft er ausschließlich seine Standardrunde(n)vom Haus aus), ging mit ihm schwimmen, auch war er schon öfters bei uns, wenn sie Termine hatten. Letzte Woche fuhr ich auch mit ihm zum TA, da Frauchen nicht mehr Auto fahren kann und es Herrchen nicht tut und meist unterwegs ist. Auch nehme ich immer ne Zeckenzange mit zum Laufen und mache ihm Zecken raus, da Frauchen sich so schlecht bewegen kann und beim Versuch diese zu entfernen, seine Haut teilweise stark verletzt und die Zecken oftmals abbrechen.
Ihr lest es bestimmt schon raus. Letztlich kam es, wie es kommen musste. Der Nachbarshund und ich bauten eine starke Bindung auf und mir fehlt mittlerweile jegliche emotionale Distanz. Ich mische mich in Dinge ein, die mich gar nichts angehen. (Z.B. frage ich mich wie sie ohne Auto zum TA kommen würden, wenn was wäre; ob sie bei 35 Grad im Sommer auch vom Haus los laufen; ob es nicht spät ist, wenn der Hund morgens teilweise zum ersten Mal um 11 Uhr raus kann um sich zu lösen und abends um 18 Uhr zum letzten Mal). Alles Dinge, die mich nichts angehen. Das weiß ich! Manchmal schaue ich vom Balkon und sehe, wie er aus seinem kleinen Gärtchen hoch zu uns schaut und beobachtet, ob wir ihn bald zum Gassi gehen abholen.
Mein Mann sagt, wir bereichern sein Leben durch unser Tun schon sehr, aber mehr können wir nicht machen. Es sei nicht unser Hund. Mein Kopf weiß das auch. Das Problem ist nur, dass ich ihn so mag und es sich mittlerweile so anfühlt, als wäre es meiner. Neulich als ich ihn zurückbrachte, liefen mir fast die Tränen runter, weil es innen so sehr nach Rauch roch und ich wusste, nun muss er das wieder „inhalieren“.
Was aber war der Auslöser, dass ich das hier alles schreibe? Weil Frauchen nun bald wieder für 5 Wochen in eine Klinik muss und sie mir schon mal erzählte, dass ihr Lebensgefährte den Hund manchmal so anschreie und ruppig mit ihm umgehe. Ich konnte das gar nicht glauben, da er mir eigentlich sympathisch ist. Aber eben erlebte ich es hautnah. Der Nachbarshund soll das Grundstück nicht verlassen (nicht eingezäunt). Aber eben lief der Rentner (mit dem er Gassi geht) vorbei und forderte ihn auf, mitzukommen. Er freute sich ganz arg und hüpfte fröhlich mit. Und dann brüllte von innen das Herrchen, er solle sofort zurückkommen. Er schrie ihn sehr an. Da ich gerade vom Einkaufen kam und sah, dass der Hund ja aufgefordert wurde mitzukommen, sagte ich zum Herrchen, er wurde aufgefordert und könne nichts dafür. Herrchen meinte, das sei egal, er habe dennoch das Grundstück nicht zu verlassen. Der Hund flitze zwischenzeitlich in den Garten zurück und der Gassigeher sprach ihn erneut an, woraufhin der Hund wieder aus dem Garten rannte. Anstatt dass Herrchen mal dem Gassigeher sagen würde, was das denn solle, dass er ihm antrainiere, das Grundstück zu verlassen, wurde wieder der Hund angebrüllt. Aber sowas von!! Das tat mir so unendlich leid, weil es einfach so ungerecht war. So eine Wut habe ich selten in menschlichen Augen gesehen. Das Herrchen mag den Gassigeher gar nicht. Ich glaube das ist auch der Grund, warum Herrchen so wütend war und es am Hund ausließ. Weil sich der Hund ausgerechnet an ihm so freut. Nachdem er so angebrüllt wurde, machte er sich sehr klein und saß daraufhin wie versteinert mit seinem Kuscheltier im Mund im Garten. Er wusste gar nicht wie ihm geschah.
Wenn Frauchen demnächst wieder im KH ist, sollen Herrchen, der Rentner und ich uns gemeinsam um den Hund kümmern. Vermutlich nehme ich ihn nachmittags mit zu mir und bringe ich spätabends wenn Herrchen kommt, wieder nach Hause.
Ich habe mir auch schon überlegt, ob ich anbieten soll, dass ich ihn ganz nehme in der Zeit bis Frauchen zurück ist vom KH & Reha. Aber ich glaube die Bindung wäre dann noch enger und sowohl dem Hund als auch ich würden darunter leiden, wenn die Zeit dann wieder endet. Außerdem kann ich ihn nicht die ganze Zeit betreuen während des KH Aufenthalts, weil wir auch in den Urlaub gehen. Also muss er so oder so eine Zeit alleine mit dem Rentner und Herrchen klarkommen.
Tatsächlich überlegte ich auch schon, unseren Urlaub abzusagen - daran sieht man mal wieder, dass ich jegliche Distanz verloren habe.
In was bin ich da nur reingeraten? Bzw. habe mich selbst reingebracht. Eigentlich wollte ich Frauchen nur helfen und den Hund etwas auslasten. Und nun merke ich, dass mir das gar nicht gut tut, weil ich viel zu sehr an ihm hänge.
Könnt ihr mich etwas verstehen? Oder denkt ihr, dass ich maßlos übertreibe und es der Hund doch eigentlich nicht wirklich schlecht hat? Vielleicht denkt ihr auch, was für eine nervige Nachbarin, die keine Distanz wahrt?
Danke jedenfalls allen, die sich wirklich die Zeit nahmen und das bis hier gelesen haben.
Viele Grüße vom Lausbubenfraule