Du sprichst mir aus der Seele
Ich stimme voll und ganz mit meinen beiden Vorrednerinnen überein. Deprivation wäre gut möglich, wenn der Welpe zu früh von Mutter und Geschwistern getrennt wurde und/oder kaum Außenreize kennen gelernt hat.
Mich interessiert ebenfalls, wie lange er schon bei euch ist.
Und ich finde es ganz toll, dass du den Fehler bei dir suchst :-) Für mich steht grundsätzlich fest, dass der Fehler niemals beim Hund liegt. Verzapft hat das Problem allein der Mensch, der Hund reagiert für hündisches Verhalten erstmal nur logisch. Das gute daran ist, dass man den Hund nicht als "hoffnungslosen Fall" abstempeln kann.
Schimpfen würde ich auch sein lassen. Wie schon gesagt wurde, kann der Hund sich bestätigt fühlen, weil du ja in sein aufgeregtes Verhalten einsteigst. Und wie du selbst erkannt hast, es könnte sein, dass der Hund gespeichert hat, dass du zu allem Überfluss auch noch motzig wirst, wenn etwas aufregendes draußen los ist. Also wieder noch mehr Grund aufgeregt zu sein.
Ich finde es wichtig, klar zu stellen, dass der Hund sich einfach nicht konzentrieren KANN. Er ignoriert dich nicht bewusst, er ist mit seinen Sinnen so überfordert, der kann gar nicht alles gleichzeitig wahrnehmen. Dadurch ist auch die Lernfähigkeit blockiert. Leinenführigkeit im klassischen Sinne kann hier nicht trainiert werden, so ist jedenfalls meine Erfahrung. Wir arbeiten da auch mit ganz viel Belohnung und Markerwort (was übrigens ganz oft wegen Reizüberflutung nicht wahrgenommen wird). Wahrscheinlich müsst auch ihr mehreres kombinieren. Wie ein Baum stehen zu bleiben, ist sicher eine Methode, auch wir wenden sie an. Das Problem ist nur, dass man es nie konsequent machen kann. Bei so viel Gewicht braucht man oft noch 1, 2 Schritte, bis man zum stehen kommt. Und auf der Straße kann man natürlich auch nicht stehen bleiben.
Ich sage dir mal kurz, wie wir das ganze angehen. Wir können übrigens auch pro Runde nur so 10 Minuten gehen, weil die arme Maus sonst fix und fertig mit der Welt ist.
1. sie sprintet vom ersten Schritt an in die Leine
2. ich bleibe wie angewurzelt stehen
3. irgendwann dreht sie sich um und läuft zu mir (je nach Aufregung kann das manchmal dauern)
4. ich markere (bei uns ganz schnöde "click") und werfe das Leckerchen ein kleines Stück schräg hinter mich
5. sie nimmt es und läuft wieder vor. Ich "clicke" in dem Moment, wo sie auf Höhe meines Körpers ist
6. Leckerchen fliegt wieder ein Stückchen hinter mich
Bewegt sie sich in einem Bereich vor oder hinter mir, ohne dass die Leine spannt, markere und belohne ich.
Ich markere und belohne auch jede kleine Aufmerksamkeit, die sie auf mich richtet.
Dafür muss das Markerwort natürlich vorher in reizarmer Umgebung trainiert werden und gefestigt sein.