Es ist ein Klassiker, Millionenfach verkauft, mit Lobeshymnen überhäuft, als Weltliteratur gerühmt - und mich hat es gar nicht angesprochen: Harper Lees „Wer die Nachtigall stört..“
Natürlich ist mir klar, dass es ein Jugendbuch ist, eine Coming-of-age-Story im Amerika der 30er Jahre, angesiedelt in Alabama, wo die Rassenfrage ein großes Thema darstellte und Diskriminierung, Vorurteile und ungerechte Gerichtsurteile gegen Farbige an der Tagesordnung waren. Dass der Mittelteil durchaus fasziniert (der engagierte Anwalt Atticus Finch als Verteidiger des der Vergewaltigung eines weißen Mädchens angeklagten farbigen Landarbeiters Tom Robinson), ändert nichts daran, dass der lange erste Teil, die Kindheitserlebnisse von Finchs Kindern Scout und Jem sowie von deren Freund Dill, für mich nur noch langweilig waren, langatmig geschrieben, unglaubwürdig als Schilderung der zu Beginn des Romans 6-jährigen Scout, der Ich-Erzählerin.
Der kurze Schlußteil knüpft zwar an den Anfang an (Begegnung mit dem sonderbaren Nachbarn Mr. Arthur), wird dann aber erneut mit überwiegend zusammenhanglos aneinander gereihten Episoden erzählt; da er daher recht kurz ist, schafft ihn die Leserin auch ohne zu heftige Ermüdungssymptome.
Die liebevolle und schonungslose Darstellung der Südstaatengesellschaft in den 30er Jahren soll mit Tiefgang und zu Herzen gehender Dramatik in diesem Roman präsent sein? Nun, es gab damals sicherlich mehr als gütige oder garstige ältere Damen und deren Missionskreis-Kaffeetrinken, Neger im Elendsviertel vor der Stadt, weißes „Pack“ nahe der Müllkippe, rassistische (aber eigentlich herzensgute), fleißige Bürger, ausgegrenzte Sonderlinge, sich meist selbst überlassene Kinder, tolerante, geduldige, liebevolle, verwitwete Väter usw.
Was lernt nun der Jugendliche aus dem Buch? Alle Menschen sind gleich - eigentlich. Aber solchen Abschaum der Gesellschaft wie den Vater des angeblichen Vergewaltigungsopfers sieht man gern - mit einem Küchenmesser erstochen - unter dem Baum liegen, oder?
Alle Teile miteinander verrechnet, ergäbe ein „Befriedigend“, was aber nicht für die Berechtigung auf einen Platz im Regal reicht. Leb wohl, du zeitloser Klassiker, der bei manchen Rezensent(innen) Tränen der Rührung hinterlassen und ihr Leben bereichert hat.