Ich wurde hier zum Thread gerufen und muss gestehen abgesehen des ersten Posts habe ich aktuell nichts gelesen.
Bei mir lebt seit 4 1/2 Jahren ca. ein "Worst Case" TWH Mix den ich von klein auf habe. Dazu erzähl ich einfach mal bisschen was.
Aras kam mit 8 Wochen zu mir. Er kommt aus einer miserablen, sehr isolierten Aufzucht und dazu kommt dass die Mutterhündin aufgrund einer starken Gesäugeleistenentzündung ab der ca. 3. Lebenswoche so gut wie gar nicht mehr bei den Welpen war. Dementsprechend gabs da kaum Sozialisierung durch die Mutterhündin o.Ä.
Mein Rüde ist schon von klein auf enorm Menschenscheu, seit der Pubertät hat sich sein ausweichendes Verhalten allerdings in vehementes "vorwärts gehen" verändert. Er trägt draußen meist einen Maulkorb, nur wenn wir auf dem Feld/Im Wald unterwegs sind und weitläufig ausweichen können sind wir ohne unterwegs. Kinder & Menschen die für ihn "anders" wirken (Rentner, tatsächlich auch Menschen mit anderer Hautfarbe etc.) sind für ihn noch gruseliger. Generell ist Aras definitiv kein aggressiver Hund in dem Sinne, er ist aber vom Verhalten recht Wolftypisch, also sehr scheu, revierorientiert und hält abgesehen von seiner "Gruppe" von keinem anderen Lebewesen (Außer Hunde, dazu gleich mehr) etwas. Bedeutet im Umkehrschluss: Bekomme ich Besuch den Aras nicht gut genug kennt muss er grundsätzlich weggesperrt sein, mittlerweile klappt es meist auch ganz gut wenn er mit Leine und Maulkorb gesichert ist. Letzteres funktioniert aber nur wenn kein Trubel herrscht, alle Beteiligten sich an diverse Regeln halten und Aras hat genügend Abstand und eventuell sogar eine Art Sichtschutz.
Daraus ergibt sich natürlich auch ein enormes Betreuungsproblem. Ich habe wenn es hoch kommt eine Hand voll Leute die theoretisch auf ihn aufpassen können, die würden sich aber alle mit Aras nicht raus trauen (Davon abgesehen dass ich nicht möchte dass jemand mit ihm raus geht). Ich hatte einmal die Situation dass ich ein paar Tage ins Krankenhaus musste und ich also direkt nach einer Notop (Gott sei Dank nur mit örtlicher Betäubung) direkt telefonieren, schreiben etc. musste um die Zeit in der ich im Krankenhaus bin zu überbrücken. Über die komplette Zeit war Aras also ausschließlich auf dem Grundstück. Zum Glück gehört ein kleiner Garten dazu, sonst hätte ich ein echtes Problem gehabt.
Beruflich musste ich alles dem Hund anpassen, ich bin von den Stunden weiter nach unten da es keine Möglichkeit gibt Aras in eine Tagesbetreuung o.Ä. zu geben. Vor der Anschaffung gab es übrigens eine lange und breite Planung die perfekt darauf ausgelegt war dass ich arbeiten gehen kann und der Hund betreut ist, durch Trennung etc. hat sich das aber mittlerweile erledigt. So viel dazu bevor mit dem Finger auf mich gezeigt wird.
Mein Haus gleicht mittlerweile gefühlt Alcatraz. Meine Zimmertüren sind alle mit Drehknäufen ausgestattet, über Türklinken höre ich Aras nämlich bis heute noch laut lachen. Die Fenster müssen abschließbar sein, da er auch diese öffnen kann. Damit wir die volle Portion "Katastrophen Wolfhund" auch ausschöpfen gibts hier nämlich auch das typische Problem mit dem alleine bleiben. Er hatte zeitweise tatsächlich nur meinen blanken Flur mit nichts. Und mit nichts meine ich so richtig nichts. Nichtmal Tapete an den Wänden. Rauputzwände, Laminat (Den er Gott sei Dank bis heute in Ruhe lässt), ein abgeschlossenes Fenster und eben die mit Drehknäufen gesicherten Türen. Mittlerweile klappt es sogar dass ich die Tür zum Schlafzimmer offen lassen kann, nun hat er zwei Räume in welchen er sich mit meiner Hündin zusammen aufhalten kann wenn er alleine ist.
Er lebte eine Zeit lang ohne Zweithund bei mir, es zeigte sich aber schnell dass er es ohne vierbeinige Begleitung noch schlechter Entwickelt. Also zog quasi "für ihn" noch ein Zweithund hier ein. Mit ihr an der Seite hat sich das Thema mit dem Alleine bleiben massiv gebessert, auch wenn es bis heute durchgehend Stress für ihn bedeutet und ich nicht nur einen Termin hab absagen müssen weil meine Überwachungskamera durchgehend Geheule meldet. Ich hab zwar sehr nette und nerven starke Nachbarn, aber überstrapazieren muss ich das auch nicht.
Mein Auto musste ich nun mit einer sauteuren Hundebox ausstatten die damit beworben ist nicht von Hunden zerstört werden zu können. Denn in 4 Jahren hat er mir jetzt schon mehrere Autos innen im Kofferraumbereich komplett zerlegt. Zum Glück waren das bisher alles sehr günstige Gebrauchtwagen. Jetzt im Neuwagen hat er mir aber auch schon angefangen den Kofferraum auseinander zu bauen, obwohl er das vorher echt Monate lang nicht mehr gemacht hat. Nun gut, jetzt hat er seit ein paar Wochen die Box & wir warten mal ab ob ers da raus schafft.
Im Auto läuft er übrigens nur Amok wenn ich aussteige. Normal hält er es mittlerweile gut aus im Auto zu warten, hin und wieder gibts aber diese Zwischenfälle, ich vermute dass seine Mechaniker-Aktionen durch seine Trennungsangst kommen & irgendwo etwas war was ihn in Panik versetzt hat.
Wenn wir jetzt schonmal beim Thema Panik sind, machen wir doch hier einmal weiter.
Er hat regelmäßig Panikanfälle und bis vor ein paar Wochen gings dann wirklich in Top Speed in alle nur möglichen Richtungen an der Leine. Rechts, links, nach oben, nach hinten - völlig egal. Hauptsache weg. Heißt ohne Sicherheitsgeschirr geht hier nix. Seit einiger Zeit sind wir aber mittlerweile so weit im Training dass er bei so einem Panikanfall zu mir kommt und auch bei mir bleibt. Manchmal versucht er schnell zu flüchten, lässt sich dann aber ansprechen und kommt wieder zu mir.
Auslöser kann übrigens eigentlich alles sein. Ein lauter Knall, plötzliche Bewegung oder irgendwelche Gespenster die er sieht.
Um das Hundethema aufzugreifen und auch mal was positives zu berichten: Mit Hunden versteht er sich unfassbar gut. Er hat eine wahnsinnige Körpersprache und könnte als Vorzeigemodell für die Eskalationsleiter dienen. Er fängt das Verhalten des anderen Hundes gut ab, merkt er dass der andere verspielt ist, fängt er auch an zu spielen. Merkt er sein Gegenüber ist angespannt deeskaliert er wahnsinnig gut. Ich behaupte dass er durchaus schon die ein oder andere Beißerei abgewendet hat in dem er einfach richtig toll reagiert hat. Sein einziges Problem ist dass er seine Masse nicht wirklich einschätzen kann und er andere Hunde gerne mal ausversehen überrennt und dabei gar nicht versteht wieso die das nicht witzig finden. Seine Spielpartner sollten also einfach auch ein Panzer sein, dann sind alle glücklich.
Oben hab ich sehr viel negatives über ihn berichtet, aber er hat natürlich abgesehen von seinem Verhalten Hunden gegenüber auch noch andere schöne Seiten.
Zum einen wird es wohl nie wieder einen Hund geben zu welchem ich eine solche Bindung haben werden. Ich hatte schon vorher Hunde und hab ja auch jetzt meinen Zweithund, aber die Bindung zwischen ihm und mir ist... anders. Ich kann es nicht beschreiben, aber es ist einfach etwas ganz besonderes. Was übrigens nicht heißt dass ich meinen Zweithund deswegen weniger lieb habe, bitte nicht falsch verstehen.
Mit ihm kann man gut arbeiten, er ist also echt konzentriert dabei und lernt unfassbar schnell. Was man aber merkt ist dass er auch hier schnell unsicher wird und man ihn enorm viel Bestätigung geben muss, selbst wenn er gerade noch dabei ist etwas auszuführen. Er kippt sonst schnell in Nervosität und eben Unsicherheit und weiß dann schnell nicht mehr wohin mit sich. Wenn man seiner Art aber mit Verständnis gegenüber tritt und ihm einfach auch 1-2x mehr sagt dass das was er da tut gut ist als man es bei anderen Hunden tun würde ist das Problem auch schnell umgangen.
Unterm Strich muss ich sagen dass ich mit Aras gut zusammen leben kann, klar muss ich mich in vielerlei Hinsicht einschränken, aber ich weiß auch wofür ich das tue. Es gibt sicherlich noch einige Punkte welche ich nun völlig vergessen habe aufzuzählen, falls mir noch was einfällt ergänze ich das gerne.
Ich musste viel lernen im Bezug auf den Hund, aber auch mit dem Hund. Ich musste einfach verstehen dass er zu vielen Dingen gar nicht in der Lange ist. Ich war mit ihm mittlerweile bei vielen Trainern (Auch welchen die sich mit dieser Rasse auskennen natürlich) und mir wurde mehrfach von verschiedenen Seiten aus bestätigt dass es richtig ist was ich mit ihm mache, wie ich mit ihm Umgehe etc.. Leider gibt es Wolfhunde wie Aras immer mal wieder und das muss man einfach auch vorher wissen. So einen Hund hat man nicht einfach mal nebenher, aktuell ist es tatsächlich so dass ich mein gesamtes Leben (Egal ob Beruflich oder Privat!) nach diesem Hund ausrichte.
Was man zu Aras aber auf jedenfall auch sagen muss: Er stammt von einem Vermehrer (Bzw. von "Wir wollten mal Welpen haben), ich war enorm blauäugig bei der Anschaffung und durch seine Herkunft leidet er am Deprivationssyndrom. Das spielt natürlich nochmal massiv in sein Verhalten ein.
Außerdem will ich nochmal anmerken dass ich hier zwar enorm viele negative Beispiele genannt habe, aber ich an der "Aufgabe" mit diesem Hund massiv gewachsen bin & ich auch in das Leben mit ihm quasi hinein gewachsen bin. Im Alltag wäre es für mich jetzt eine wahnsinnige Umstellung wenn ich "nur" noch Hunde wie Xia, meine Zweithündin, hätte.
Aras und ich sind übrigens seit ich ihn habe wöchentlich im Training, wir arbeiten an den Problemen.