Mal wieder ein laanger Bericht: Für uns, nördliche Lüneburger Heide, wird es allmählich wirklich brenzlig mit Hund. Ich hatte ja schon mehrmals berichtet, dass wir hier ein großes Rudel hatten, das seit 2013 ein Jahrzehnt derart unauffällig draussen in den Wäldern lebte, dass wir uns alle gefragt haben, was die ganze Hysterie überhaupt soll. Es klappt doch super mit dem Zusammenleben mit den scheuen Waldtieren!
Was sich in den letzten zwei Jahren dramatisch ändert, und für mich ein Beispiel dafür ist, wie schnell Wölfe lernen, wenn man sie gewähren läßt. Es gab 2023 erst die ersten Sichtungen tagsüber und innerorts ("total harmlos, sie tun ja nichts weiter") , und von dem Moment an wurde das Revier Schlag auf Schlag in die Besiedlung erweitert, Wir haben jetzt zwei Rudel direkt am Ortsrand und noch zwei in der Nähe, und ja: wir sind die Ecke, in der diese Ranzzeit ausdrücklich vor Waldspaziergängen mit Kindern gewarnt wurde, weil die vielen Wölfe so distanzlos geworden sind. Hunde soll man eh nicht mehr mit rausnehmen, und es fiel sogar das Wort "lebensgefährlich".
Das Rewild indessen reagierte ebenfalls wie aus dem Bilderbuch und flüchtete innerorts. Ich habe meinen Augen nicht getraut, als ich diesen Winter einen großen Bock vor der Gartenpforte stehen hatte, mitten, wirklich mitten in der Innenstadt, und mir der Nachbar gegenüber erzählte, der spränge regelmäßig über den Zaun, um an seinem Gartenteich zu trinken und lebe im nahen Park neben der Grundschule.
Die latente Sorge war natürlich: Rücken die Wölfe nach? Und, ja, sie tun's. Wir hatten plötzlich Schafsrisse weit innerorts, direkt an der Wohnhauswand, gerissene Rehe in Gärten innerrorts, eins zerrissen mitten auf der Ausfallstraße. Natürlich immer ohne Konsequenz für die Wölfe.
Und dann, vor zwei Wochen, endete unser Abendspaziergang im Stadtpark (ein paar Hektar Grün tief innerorts) damit, dass aufgeregte Hundehalter uns warnten: Die Polizei hätte sie weggeschickt, ein Reh sei auf dem Schulhof/zentralen städtischen Parkplatz gerissen worden, und wir sollten das Gelände ja mit Hunden meiden (nochmal: rundrum mehrere Kilometer Wohnbebauung!) Es handelte sich um eine Wölfin, die sehr aggressiv auf Hunde reagiere.
Natürlich habe ich sofort bei der Polizei angerufen und bekam nur die Auskunft, man dürfe mir keine Auskunft geben. Auf die Frage: "Dann stimmt das also eher nicht?", kam die Antwort: "DAS haben wir nicht gesagt!
Hm. Ich hätte es so gern als Hundehalter-Hysterie abgehakt, aber dann traf ich einen sehr, sehr seriösen alten Herrn, der da genau gegenüber wohnt - und der bestätigte die ganze Story von A-Z. Er hatte den Kadaver gesehen und mit den Polizisten gesprochen, die ihm dringend rieten, seinen kleinen Hund auch tagsüber nicht mehr in den Garten (zum dritten Mal: inmitten kilometerweit ausgedehnter Wohnbebauung!) zu lassen.
Es gab daraufhin übrigens für uns Hundehalter weder eine Warnung von der Stadt noch eine Erwähnung dieses RIsses im örtlichen Wochenblättchen, und auf SM hält hier eh jeder den Mund, weil wir zu allem Unglück auch noch einige der schlimmsten Fanatiker vor Ort haben. Dafür aber gab es gestern überall eine halbe Zeitungsseite darüber, dass eine Wölfin fünf Kilometer weiter überfahren wurde...
Soweit sind wir hier inzwischen, nach einem Jahrzehnt mit dem Sechser im Lotto. Das Schlimmste: Es wird überwiegend als Normalität genommen, weil ja jeder weiß, dass Wölfe " uns nichts tun" und eine Leine jeden Hund sicher schützt. Ich überlege mir inzwischen wirklich sehr, ob ich es verantwortne kann, mir nach Erbse nochmal einen neuen Hund anzuschaffen kann, denn: schützen kannst du ihn im Ernstfall nicht, und Spaziergänge unter diesem jetzt wirklich allgegenwärtigen Druck sind einfach kein Spaß mehr.
Und komme mir jetzt bitte keine/r mit Wildschweinen, mit denen kommen wir seit ewigen Zeiten bestens aus. Die werden nämlich bejagt, sind entsprechend vorsichtig, und man kann einander wunderbar in Ruhe lassen. Klappt seit 20 Jahren plus unfallfrei. Aber ein zunehmend habituierter Räuber von Wolfsformat ist einfach eine ganz, ganz andere Nummer.