Hallo an alle,
ich sage gleich vorweg: Dieser Beitrag wird ziemlich lange werden. Nur mal als Vorwarnung. Ich weiß auch nicht, ob ich mir überhaupt etwas davon erwarte, ich vermute, ich schreibe diesen Beitrag nur, um mir mal alles von der Seele zu reden und es in die Welt hinaus zu schreien. Nehmt es mir also nicht übel.
Also, wir haben unseren Zwergpinscher-Rüden im November nach reiflicher Überlegung zu uns geholt. Meine Freundin (28) geht ganztags arbeiten, ich (27) studiere und bin somit oft zuhause. In dem damaligen Semester hatte ich Prüfung und hatte daher fast keine Vorlesungen, so dass eine längere Eingwöhnungszeit gewährleistet war.
Wir bekamen unseren Hund als er vier Monate alt war. Im Rückblick muss ich sagen, dass wir bei der Auswahl des Züchters und der Rasse wohl einiges falsch gemacht haben. Aber das weiß man meistens auch erst hinterher. Unser Hund lebte bis zu seinem 4. Lebensmonat unter rund 20 anderen Hunden. Er war also nie alleine. Alle waren im Haus untergebracht. Wir haben sehr schnell gemerkt, dass unser Hund sehr schreckhaft war und absolut Angst vor anderen Hunden und vor allem Menschen hatte. Es liegt nahe, dass der Züchter in Sachen Sozialisation sehr nachlässig war. Bei dieser riesen Meute von Hunden ist das kein Wunder. Besuch war da anscheinend Fehlanzeige und da alle zum "Austreten" in den Garten gelassen wurden, war unser Hund es somit nicht gewohnt, an der Leine draußen herum zu laufen und womöglich auf andere Hunde und Menschen zu treffen.
Da uns das schnell aufgefallen ist, haben wir mit ihm ab Dezember eine Welpengruppe besucht, wo er Hundekontakte hatte und man versucht (!) hat, dem Hund beizubringen, wie er anständig an der Leine läuft. Außerdem bekam man "kluge" Ratschläge in Sachen Alleinelassen. Wir haben nach ein paar Wochen angefangen, das mit ihm zu trainieren. Leider war das nicht von Erfolg gekrönt. Man konnte ihm geben, was man wollte, er rührte es nicht an. Ist man - wohlgemerkt ohne Tamtam - aus dem Zimmer oder gar aus der Wohnung, fing er an zu jaulen und zu bellen. Der Tipp von der Hundetrainerin damals war: Durchhalten, Plärrenlassen. Natürlich sind wir nie rein, wenn er gerade Rabbatz machte. Wir haben immer eine Pause abgewartet. Unser Hund wurde auch nie begrüßt oder belohnt, wenn wir wiederkamen. Der Tipp war natürlich für die Katz. Nächster Tipp war dann: Eine Box. Das kam uns spanisch vor. Gott sei Dank, denn hätten wir diesen Rat befolgt, wäre unser Hund vermutlich damals schon völlig am Ende gewesen.
Im Februar waren wir dann mit unserem Latein am Ende. Ich kontaktierte eine professionelle Hundepsychologin, die in der Region einen sehr guten Namen hat und in Kürze auch ein Buch veröffentlichen wird. Sie stellte nicht nur fest, dass unser Hund nicht alleine bleiben kann, sondern auch, dass er eine riesengroße Angst vor Menschen hat. Um beides hat sich sofort gekümmert. Unser Hund sollte fortan abgelenkt werden, damit er nicht von vorneherein in Panik gerät, wenn man den Raum bzw. die Wohnung verlässt. Denn ist er erst mal in dieser "Panik-Falle", ist er - rein biologisch - nicht mehr in der Lage, sich selbst wieder herauszuholen (die Hundepsychologin ist u.a. Spezialistin, was Neurologie angeht). Unser Hund bekam den Kong. Und es klappte anfangs ganz gut. Zuerst wurde er mit dem Ding in einem Raum gelassen, ohne dass man die Wohnung verlassen hat. Erst eine Minute, dann zwei... dann fünf... dann irgendwann zehn. Dann sind wir auch mal vor die Tür.
Im April/Mai konnten wir ihn dann zum ersten Mal eine halbe Stunde alleine lassen, ohne dass er vollkommen durchdrehte. Wir dachten, wir hätten es nun geschafft, der Rest sei nur noch Training. Auch haben wir mit ihm geübt, sich in der Stadt mit Halti und Beinleine zu bewegen (unser Hund kann bis heute an der normalen Leine nicht bei Fuss gehen). Er kann das heute sehr gut. Ebenfalls geübt wurde das Sitzen im Restaurant etc. Denn unser Hund hat immer alles angebellt, was sich um ihn herum bewegt hat - aus Unsicherheit. Auch das klappt inzwischen einigermaßen.
Aber dann bekam er plötzlich einen Rückfall. Ende Mai fing er wieder an, zu bellen und zu jaulen, wenn er alleine war. Und das, obwohl er inzwischen sogar einen Fütterwürfel hatte, mit dem er sich immer gut beschäftigt hatte. Schließlich sind wir in ein Reihenhaus umgezogen. Auf die Dauer war es nicht möglich, in der Wohnung zu bleiben, sowohl aus Platzmangel als auch wegen der Lautstärke unseres Hundes.
Wir haben im Häuschen nach dem Umzug wieder mit dem Training begonnen, wohlwissend, dass die Wände dort dick sind und die Nachbarn geduldig. Das ist auch nicht das Problem. Trotzdem kann unser Hund nicht alleine bleiben. Wir haben alles versucht. Immer wieder ganz klein angefangen. Unsere Tierpsychologin war dann noch einmal dabei, als er alleine war. Wir empfanden das alle nicht wirklich als Trennungsangst-Bellen, sondern eher als Protestbellen. Der Hund ruft sein Rudel. Man muss dazu sagen, dass er uns immer sehr nahe war. Er durfte im Bett schlafen, aufs Sofa und wurde immer sehr betüdelt. Spätestens dann war klar, dass das so nicht geht. Wir fingen also wieder an (wie wir es auch immer schon gemacht haben), ihn innerhalb des Hauses auszusperren, damit er einem nicht überall hin folgen kann. Das kann er inzwischen auch gut. Er schläft auch nicht mehr im Bett und aufs Sofa darf er auch nicht mehr. Das war nicht einfach, aber musste sein.
Doch all das Distanztraining zeigt keine Früchte. Hinzu kam dann noch, dass er vor drei Wochen von einem Boxer angefallen wurde, der ihn geschüttelt hat und nur durch Eingreifen von allen Seiten davon abgehalten werden konnte, unseren Hund totzubeissen. Das sitzt anscheinend sei tief bei unserem Hund.
Und am Montag kam es dann zum vorläufigen Höhepunkt: Unser Hund war alleine und hat - zum ersten Mal überhaupt - etwas kaputt gemacht. Er hat unsere Wohnzimmertür angefressen, eine Leiste herausgerissen. Am Tag später hat er weiter gemacht und dazu noch überall hingekotzt. Wir haben sein Gebelle aufgezeichnet und er bellt wirklich - bis auf wenige Minuten - durch.
Heute habe ich mich wieder mit der Hundepsychologin getroffen. Sie sagt ganz klar, dass unser Hund der härteste Fall ihrer Laufbahn ist. Und wir sind so langsam am Ende unserer Kräfte. Wir haben sogar in den letzten Monaten den Vater meiner Freundin einmal die Woche herkommen lassen (er wohnt fast 100 km entfernt), damit unser Hund nicht alleine war. Meine Freundin hat - dank ihrer Chefs - teilweise von zuhause arbeiten dürfen. Aber das hat jetzt ein Ende. Wenn unser Hund bis Oktober nicht alleine bleiben kann (da fängt das neue Semester an und ich muss endlich wieder normal studieren können!), bleibt uns nur eines: ihn abzugeben an jemanden, wo er nie alleine sein muss. Selbst die Hundepsychologin zweifelt daran, dass wir das noch bis dahin auf die Reihe bekommen.
Wir haben schon so viel für unseren Hund getan, mit aller Konsequenz. Im Grunde haben wir - und besonders ich - seit November letzten Jahres nur noch für den Hund gelebt. Wir waren nie weg, weil er nicht allein sein konnte. Mitnehmen ging auch kaum. Und nun wissen wir nicht weiter.
Wir starten nun noch einen letzten Versuch mit der Hundepsychologin, indem wir versuchen, ihn im Auto alleinzulassen, auch wenn er das bisher verweigert hat. Wir werden alles versuchen, damit es vielleicht doch noch klappt. Aber ich habe kaum noch Hoffnung und das macht mich so fertig, dass ich dauernd heulen muss. Wir lieben diesen Hund über alles und wollen, dass er bei uns bleibt. Ihn wegzugeben, ist, wie ein Kind wegzugeben. Wir können uns ein Leben ohne Dein Kleinen nicht mehr vorstellen. Wir können nicht so tun, als sei er nie dagewesen. Aber wir können und dürfen unser Leben nicht nur noch an dem Hund ausrichten. Meine Freundin wollte sogar schon ihre Arbeit kündigen, nur wegen ihm. Aber das ist unrealistisch, denn wir brauchen das Geld logischerweise. Wir sind mit unseren Nerven völlig am Ende und diese Hilflosigkeit macht einen ohnmächtig!!!
So, das wollte ich nur mal loswerden. Wenn Ihr möchtet, schreibt mir. Vielleicht will ich ja einfach nur ein wenig Anteilnahme. Ich kann nur jeden beglückwünschen, der das Glück hat, einen Hund zu besitzen und ihm bis ans Lebensende in die Augen schauen zu können. Diese Tiere können einem mehr geben als viele Menschen.
Liebe Grüße
LesPaul