Beiträge von Montagsmodell

    Schwierig, wenn nun eine komplette Betriebsblindheit wie bei einer großen Anzahl der Halter von Extrembrachys zu beobachten mit einer Relativierung, wie ich sie hier lese, in einen Topf geworfen wird.


    Natürlich kann niemand genau sagen, was ein Hund wie empfindet. Kann ich übrigens auch von anderen Menschen nicht. Wir sind also wohl oder übel auf eine von zwei Möglichkeiten angewiesen: Möglichst genaue wissenschaftliche Forschung, oder eigene Beobachtung. Dass ersteres hier schlicht fehlt, wurde hier im Thread schon vielfach bedauert - auch und gerade von Haltern der betreffenden Rassen. Wir alle würden gern genaueres wissen, jedenfalls mehr als "bei Nagetieren und Katzen wurde aber festgestellt". Bleibt also notgedrungen nur die Beobachtung.


    Jetzt überlege ich hier mal ganz persönlich. Bei meinen Hunden habe ich nie einen Unterschied feststellen können zwischen den Mädels, bei denen die Vibrissen wirklich überall herausstanden, und den Jungs, wo sie eher im Fell verschwinden. Könnte natürlich Gewohnheit gewesen sein. Oder meine Betriebsblindheit? Also, ich sehe am Krümel so einiges, was mir Bauchschmerzen macht. Er hat genetisch leider eine echte Niete gezogen, und ja, das schränkt ihn in seiner Lebensqualität ein. Er hat anders als seine Vorgänger eher kurze Beine mit vorne einem leichten Knick: Deshalb hab ich immer aufgepasst, dass er nicht so viele harte Landungen hinlegt, und er war auch immer viel weniger geschickt beim Springen als andere. Er hat anders als seine Vorgänger Unverträglichkeiten und eine Neigung zu Hautproblemen: Es ist nicht schön, dass er vieles nicht fressen darf was für die anderen selbstverständlich war, und wenn er sich dann kratzt wie doof ist das auch für ihn sehr unangenehm. Neige ich also dazu, alles irgendwie wegzuleugnen? Ich denke eher nicht. Mit dem Alter nun lassen Seh- und Hörsinn nach. Merke ich den Unterschied? Durchaus. Was ich allerdings niemals bemerken konnte: Einen Unterschied, ob die Vibrissen über den Augen in voller Länge gewachsen waren (und beim Silky wächst das Fell nicht in alle Ewigkeit wie beim Pudel), oder ob sie beim Freischneiden des Fells über den Augen mit gekürzt wurden. Wenn ich nun einen Unterschied deutlich bemerke, ob mein Hund gut sehen kann oder nicht, und keinen, ob die Vibrissen volle Länge haben oder nicht - tja, dann hat das für mich schon eine Reihenfolge.


    Wirft man das nun alles in einen Topf, Hunde die nicht mehr atmen und laufen können, und solche, die vielleicht möglicherweise könnte sein nicht den vollen Tastsinn im Gesicht haben, dann spielt das doch nur denjenigen in die Karten, die an wirklicher Qualzucht nichts ändern möchten. Denn entweder man nimmt die Vibrissendiskussion absolut ernst, arbeitet sich erstmal daran ab, und der Rest ist aus dem Fokus - oder man sperrt sich dagegen, und damit sind die Qualzuchten gleich mit vom Haken. So oder so ein sehr ungünstiges Vorgehen, finde ich.



    Und apropos Taubheit: Wie gesagt, bei meinem Hund bemerke ich da schon einen Unterschied, seit er nicht mehr ganz so gut hört. Vor allem aber ist es ein einprägsames Erlebnis, das mich da ein wenig kritisch sein lässt. Vor vielen Jahren sprangen nämlich mein damaliger Hund Glenny und ich im Reflex, nur von einem Krachen über uns gewarnt, blitzschnell in zwei verschiedene Richtungen weg, und entgingen dadurch knapp einem riesigen herunterstürzenden Ast. Das hätte echt böse enden können, und von daher schätze ich das Gehör als Frühwarnsystem nicht so gering wie hier von Chatterbox geäußert.

    WENN wirklich durchgesetzt wird, das Vibrissen notwendig sind, das jeder Hund sie braucht und nutzen können muss, dann ist absolut jeder Hund mit Bart oder generell langem Fell im Gesicht eine Qualzucht.

    Und was ist dann eigentlich mit all den Plattnasen? Die können doch definitiv keine Vibrissen nutzen? :???:

    Und das vermute ich ganz ähnlich. Wenn es für einen Hund von Welpe an "normal" ist, dass die Vibrissen meinetwegen im Haar verschwinden, ist es für sie wahrscheinlich auch nicht viel schlimmer als andere körperliche Gegebenheiten. Ich meine, nur so als Vergleich: Es gibt ja auch so Hunde, die sehr feinfühlig sind, und kleine Dampfwalzen. Oder, da der Vergleich mit dem menschlichen Tastsinn schon kam: Die einen sind extrem fein und ertasten schon kleinste Kleinigkeiten, andere haben ordentlich "harte Hände" und merken nicht mal, wenn sie sich dicke Splitter einziehen. Natürlich würde sich der Mensch mit den feinen Händen beeinträchtigt fühlen, wenn da plötzlich das Gefühl fehlt; andererseits wäre der Mensch mit der dicken Hornhaut wahrscheinlich eher irritiert, wenn er plötzlich alles mögliche spüren würde. Also wieder die Frage: Leidet ein Hund darunter, wenn von klein auf die Vibrissen im Haar verschwinden?


    Das alles wäre etwas anderes, wenn dadurch die Sicherheit gefährdet wäre, der Hund Schmerzen hätte, oder in seiner Aktivität eingeschränkt wäre. Und an diesem Punkt fängt eben mein Unverständnis an, wenn so viele ganz offensichtlich für die Hunde schmerzhafte, einschränkende und gefährliche Zuchtmerkmale einfach hingenommen werden, aber sich an einem vielleicht-möglicherweise-könntesein dann profiliert wird.

    Ich finde ja die Argumentation mit der Natürlichkeit in Bezug auf Hunde immer ein wenig schwierig.


    dass Hunde ohne diese in freier Wildbahn nicht überleben würden

    Vielleicht, vielleicht auch nicht. Aber ist das wirklich die Frage? Hunde sind nun mal nicht einfach so was wie defizitäre Wölfe. Sondern haben, evolutionär gesehen, die Anpassungsstrategie gefunden, ein Bündnis mit der zur Zeit erfolgreichen Spezies Mensch einzugehen. Was, ebenfalls Stand jetzt, durchaus aufzugehen scheint: Die Anzahl der weltweit lebenden Hunde übersteigt die der weltweit lebenden Wölfe um ein drastisches Vielfaches. Wobei auch der weite Großteil der freilebenden Hunde sich in Menschennähe aufhält, nicht in der Wildnis. Ist also die Frage nach einem Überleben in der Wildnis wirklich diejenige, die sich bei einem Tier, das wie kein anderes das Zusammenleben mit dem Menschen gewählt hat, in einer Welt, die drastisch menschengeprägt ist, aufdrängt?


    Ich wiederhole mich mal: Die Evolution macht keine Fehler die überleben, Fehler werden auf lange Sicht eleminiert.

    Auf lange Sicht wird keiner von uns als Spezies Bestand haben. Die Hunde nicht, wir nicht. Die Evolution ist einerseits eine Geschichte von Überlebenden, aber ebenso auch eine gewaltige Aneinanderreihung von Sackgassen. Was nicht heißt, dass diese nicht zu ihrer Zeit sehr erfolgreich waren. Wie viel Sinn macht also so eine Argumentationsweise? Wobei evolutionär gesehen durchaus Merkmale ohne jeden Sinn über lange Zeit Bestand haben können, so lange sie das Überleben und die Fortpflanzung nicht einschränken, quasi ein "ist doch egal" sind.


    Ich sehe also diese ganze Frage nach Natürlichkeit und Wildnis in Bezug auf den Hund ein wenig als "Thema verfehlt" an. Was mir dagegen wichtig ist ist eine Frage, die sich evolutionär gesehen gar nicht stellt: Wie geht es dem Individuum damit? Wie es Harari im Buch "eine kleine Geschichte der Menscheit" so treffend sagt: Die Evolution schert sich nicht um das Glück des Einzelnen. Genau das sollten wir bei unserem angeblich besten Freund aber tun, finde ich. Und zwar aus ethischen Gründen.



    Unter diesem Blickwinkel gesehen hat ein Hund in Wohnungshaltung zum Beispiel ein super isolierendes Fell gar nicht nötig, es kann sogar u.U. störend werden. Nicht nur für den Halter, sondern auch für den Hund, der sich beispielsweise, statt in der Nähe seiner Menschen zu liegen, in einen oft abgelegenen Raum mit Fliesen zurückziehen muss. Während ein Hund, der durch seine Anatomie Schmerzen hat, definitiv leidet. Die Vibrissen sind so gesehen in einer Grauzone angesiedelt. Hunde mit funktionalen Vibrissen können diese auch einsetzen, klar. Hat ein Hund mit weniger oder gar nicht funktionierenden Vibrissen dagegen nun Einschränkungen, die seine Lebensqualität herabsetzen? Beeinträchtigt ihn das in seinem Lebensglück? Und das weit genug, um andere Vorteile des entsprechenden Hundetyps zu überwiegen? Das ist doch die wichtige Frage.

    wobei ich mir tatsächlich auch aus heutiger Sicht nicht vorstellen kann, dass mein Terrier mir auch im Tausch gegen ein Leckerlie seinen Schinkenknochen gebracht hätte

    Und genau da liegt eben der Unterschied, ob man viel und oft mit Hemmung arbeitet, und der Hund einen entsprechend auch als potentiell durchaus unangenehm einschätzt, oder die Hemmungen doch sehr sparsam dosiert und von daher ein wesentlich vertrauensbasierteres Verhältnis aufbaut. (So gesehen finde ich gerade das Beispiel mit Abgeben von Ressourcen keineswegs OT.)


    Wenn ich einem Hund als Basis erkläre, dass ich ihm Dinge wegnehmen kann weil ich eben der Big Boss bin, dann lernt er zwar durchaus, das ohne Protest hinzunehmen; aber es bleibt eben genau das, ein mehr oder weniger widerwilliges Hinnehmen. Oft genug so gehandhabt, werde ich in der Sicht des Hundes ein überlegener Konkurrent. Was durchaus ein Leben lang funktionieren kann, keine Frage! Aber wieso sollte ich so etwas wollen?


    Natürlich ist es kein sinnvoller Gegenentwurf, dem Hund dann einen tollen Knochen zu geben, mit einem Leckerchen zu wedeln und zu hoffen, dass das funktionieren wird. So etwas nennt sich Bestechung, und ist nur ganz zu Anfang als Starter eine brauchbare Idee. Aber wieso nicht dem Hund von Anfang an erklären, dass es immer eine gute Idee ist, mir Dinge freiwillig zu geben? Wenn ich das mit einem jungen Hund übe, dann eben nicht gleich mit tollen Sachen, sondern mit einem eher langweiligen Kauteil und guten Leckerlies. Und nach jedem Leckerli bekommt er das Kauteil zurück, in mehrfacher Wiederholung. Bis ich dann die Leckerchen einpacke und den Hund mit dem mittlerweile gar nicht mehr so wichtigen Kauteil alleine lasse. Erst dann steigert sich die Qualität der Kauartikel, anfangs aber gleichzeitig auch die Qualität der Leckerlis. Sinn des ganzen: eine riesige Anzahl von Wiederholungen mit der immer gleichen Erfahrung, Abgeben ist eher was gutes als schlimm.


    Schneller geht sicher die Variante mit Druck und Hemmung. Je nach Hund reichen da eine bis ein paar wenige Wiederholungen, und er traut sich nicht mehr, mein Recht auf seine Ressourcen in Frage zu stellen. Wie gesagt, kann man so machen. Mir selbst wäre das erstens gefühlsmäßig unangenehm, wenn mein Hund sich im klassischen Sinne "unterordnet" und dabei immer das Gefühl hat, eben einem stärkeren Konkurrenten unterlegen zu sein. Vor allem aber sehe ich auch nicht ein, wieso ich meine "Reichweite" im Training dadurch massiv einschränken sollte?


    Denn eines ist klar: Mit Hemmung kann ich erreichen, dass mein Hund Abstand von begehrten Ressourcen hält, und diese auch widerspruchslos abgibt. Wem das reicht, ok. Ich selbst hab dafür viel zu viel Spaß an allen möglichen Möglichkeiten, das ganze weiter auszubauen. Zwei Beispiele, zwar schon älter, aber man nimmt so was ja auch nicht ständig auf:


    Um Würstchen einen Bogen machen kriegt man mit Hemmung gut hin. Aber auch, Würstchen zu apportieren?


    Oder wie sieht es damit aus, etwas direkt aus Keksen zu apportieren? Zwar mit viel Konzentration, aber ohne Stress und Angst?


    Das sind jetzt natürlich nur Beispiele. Aber sie verdeutlichen glaub ich ganz gut, wo der Unterschied liegt zwischen einer Erziehung, die auf Verboten basiert, und einer, die ein Win-Win-Miteinander anstrebt.

    Wenn ich das richtig verstanden habe geht es gerade eher darum, dass dieser Rat, nicht so viel Geschiss um den Hund zu machen, sehr unterschiedlich gemeint sein und auch verstanden werden kann. So wie ja weiter vorne im Thread auch schon anklang, dass manche die Gedanken, die sie sich um den Hund machen, als Teil der Aufmerksamkeitsthematik betrachten, während andere das trennen unter "bekommt der Hund direkt mit" und "allein mein Problem, belastet ja den Hund nicht".


    Ich selbst habe diesen Rat bisher immer mit dem Unterton "ist doch nur ein Hund" bekommen, und da bezog es sich tatsächlich dann auf das Gesamtpaket. Also auch all das, was MoniHa anspricht. Da bekommt die Pauschalaussage mit dem Geschiss dann nun mal ein "G'schmäckle". :ka: