Wenn man bedenkt, dass Hunde ihren Menschen i.d.R. viel besser lesen können, als dieser seine Hunde, verwundert es mich nicht, dass viele Hunde ihren Menschen einfach nicht für glaubwürdig halten bzw. hinterfragen, ob er etwas ernst meint.
Und genau das ist aus meiner Sicht eines der Probleme, wenn Menschen starre Regelwerke übernehmen, weil das in Buch XY eben so steht.
Der Mensch geht dann zuerst durch die Tür, "weil man das so macht" und nicht, weil er es gerade wirklich möchte. Und genau das spürt der Hund.
Ich lebe ja seit vielen Jahren mit bis zu 4 Hunden. Interessant war immer die Einschätzung Außenstehender, welcher Hund in der Gruppe die "höchste Position" hat - es wurde grundsätzlich auf den Auffälligsten, Lautesten oder Frechsten getippt. Tatsächlich war es meistens der auf den ersten Blick Unauffälligste....der war nämlich:
- Souverän
- Wesensfest
- Sozial
- Berechenbar in seinen Reaktionen
- Erfahren
und
- Intelligent.
Niemals hätte dieser Hund einem der anderen den Kauknochen weg genommen, solange dieser ihn frisst....er war aber derjenige, der ihn beanspruchte, sobald er liegen gelassen wurde - sofern er gerade noch Hunger hatte. Nicht grundsätzlich!
Ob die anderen zuerst aus der Tür in den Garten rennen, war völlig egal - solange er kein besonderes Interesse daran hatte, der Erste zu sein.
Wenn ihm aber etwas wichtig war, reichte eine kleine Geste, ein Blick, eine zuckende Lefze - und die anderen reagierten prompt.
Wenn einer der anderen es "doch mal wissen wollte", gab es eine kurze, angemessene, knackige, punktgenaue Korrektur - danach war alles sofort wieder in Ordnung, Stimmung wieder gut. Das Vertrauen war ungebrochen, weil der andere Hund die Korrektur verstand.
Ich behaupte mal, als Mensch hält man oft allein schon nicht mit, wenn es um punktgenau und (aus Hundesicht) angemessen geht....
Für mich ist deshalb die Erziehung und Ausbildung von Hunden in erster Linie Persönlichkeitsentwicklung des Menschen... wer führen will, muss führen können (wer hatte noch nie einen unfähigen Chef?)... wer Impulskontrolle vom Hund verlangt, sollte überlegen, ob er selbst wirklich beherrscht ist...
Meine Hunde erziehe ich übrigens ohne irgendwelche Regeln aus Büchern - was erwünscht ist, fördere ich - was unerwünscht ist, unterbinde ich oder lenke es um. Je nach Hund bin ich bei Korrekturen auch mal sehr deutlich, wenn die Umstände das erfordern. Bei 3 "Triebsäuen" im Haushalt geht das manchmal nicht anders.
Mir fällt übrigens immer wieder beim Gassi oder auf Hundeplätzen in der Basis-Ausbildung auf, wie viele Hunde komplett außenorientiert sind und wenig Interesse an der Zusammenarbeit mit ihrem Hundeführer haben. In einigen Fällen liegt das sicherlich wirklich am Hundetyp, in anderen aber daran, dass der Hund seinen Besitzer als totale Spaßbremse erlebt, als Hindernis oder Klotz am Bein, der ihn am "Spaß haben" oder "Bedürfnisse befriedigen" hindert mehr nicht.
Es wurde vergessen, dem jungen Hund elementar wichtige "Bausteine" in der Erziehung und Ausbildung zu vermitteln, z.B.
- Über mich bzw. den Gehorsam kommst Du zum Ziel, Zusammenarbeit lohnt sich (Hund lernt also über Umwege ans Tiebziel zu kommen)
- Der "Konflikt" löst sich grundsätzlich bei mir, nicht, indem Du weg rennst/meidest
- Der Mensch ist ein superinteressanter Spielpartner (dafür muss man aber natürlich mit Hunden spielen können... das müssen viele lernen)
- Der Mensch ist fair und berechenbar (statt launisch und ungerecht - oft merken die Menschen das gar nicht)
- Der Mensch holt den Hund nach Korrekturen aus seinem "Loch" wieder raus (Stichwort Auflösen)
Statt dessen hat der Hund bereits als Welpe gelernt: Außenwelt verheißt Spaß und Action, Mensch bedeutet: "Pfui, Nein, Hier".....langweilige Spaßbremse eben...und bei "Mecker" bloß weg und auf Abstand, statt zum HF laufen und auslösen, dass aufgelöst wird...
Beispiel: Welpe zerrt plötzlich die Kabel unterm Fernsehschrank raus... Die meisten unerfahrenen HH springen auf, schimpfen, unterbinden die Handlung und....verordnen dem Welpen entweder eine Auszeit oder setzen sich nach Abbruch wieder hin und machen ihr Ding weiter. Welpe lernt: Nix ist erlaubt, Mensch schimpft ständig, Spaß verboten.
Wenn man allerdings in dem Moment, wo der Welpe sich nach dem Abbruch dem Menschen kurz zuwendet, sofort lobt und bestätigt, bei Herankommen aus der Distanz sogar ein kurzes Spiel anbietet, sieht es schon anders aus...Irgendwann reicht dann bereits beim Junghund das Abbruchsignal und der Hund unterlässt nicht nur die Handlung, sondern kommt zu einem. Im Endergebnis möchte ich einen Hund, der bei psychischem Druck zu mir will um den Konflikt aufzulösen, statt meiden und weg.
Die viel diskutierte Beißhemmung ist ein weiterer Punkt... 2 meiner 3 derzeitigen Hunde waren als Welpe extrem, die kamen in ihren "5 Minuten" plötzlich angeschossen, um sich dann in Kleidung oder Körperteile zu verbeißen - kaputte Klamotten und blutige Stellen die Folge.
Im Internet findet man dann Tips wie "sofort Auszeit", "Spiel beenden" usw... Zumindest bei meinen Hunden wäre dadurch der Triebstau noch größer geworden - deshalb hatte ich in der Zeit immer irgendwas in der Tasche, Beißwurst, Gummiring... hab dann umgeleitet statt (normales!!) Welpenverhalten dieses Hundetyps zu bestrafen.
Beide Hunde haben heute eine tolle Beißhemmung, mein Sohn (10) kann mit beiden raufen, ohne dass auch nur 1 Kratzer entsteht. Da können Hunde durchaus differenzieren, denn beim Raufen bleibt das Maul weich, im Schutzdienst gibt es harte Griffe.
Hui, ellenlanger Text, war mir aber ein Anliegen, da ich viele Hund-Mensch-Teams sehe, bei denen in der Welpenaufzucht schon die Grundsteine für Bindungsstörungen und negative Arbeitseinstellung des Hundes gelegt wurden - aus Unwissenheit oder weil in vielen Büchern wirklich Murks steht.
"Mehr Bauch, weniger Kopf" ist manchmal gerade für Hundeneulinge sehr schwer...Ich habe bei meinen ersten Hunden so ziemlich alles falsch gemacht...leider.