So, wo fange ich am besten an… Achtung, wird lang
Ich möchte erstmal loswerden, dass ich es einerseits unglaublich wertschätze, dass man hier so schnell viele gutgemeinte Tipps bekommt. Andererseits hat es mich teilweise doch sehr verunsichert damals. Zum Beispiel, als @Helfstyna von einem „Donnerwetter, dass der Hund die nächsten Meter nur auf dem Bauch daher kommt“ schreib oder @Murmelchen meinte, der HH hätte solch Verhalten „gnadenlos abgestellt“, sonst habe es auch noch der adulte Hund gezeigt.
Problem ist dabei vermutlich immer, dass Fremddiagnosen – egal wie gut gemeint - so verdammt schwer sind. Niemand hier kennt mich oder meinen Hund, niemand sieht unseren Umgang miteinander. Und dann entstehen ganz plötzlich Vermutungen, die als absolut dargestellt (oder aufgenommen) werden - aber nicht so sein müssen.
Ich jedenfalls bin mittlerweile felsenfest davon überzeugt, dass es nicht „den einen“ Weg gibt in der Hundeerziehung. Aber! Es gibt nur EINEN RICHTIGEN für das jeweilige Hunde-Menschen-Team. Nicht jeder Mensch ist der Typ für „dominante“, laute Donnerwetter und nicht jeder Hund nimmt die auf gleiche Weise an. Mit Ria habe ich eine Hündin, die (schon als Welpe) EXTREM auf Körperliches reagiert. Da kommt der Polizeihund-Papa durch… Sie schreckt nicht zurück, wenn man auf sie zugeht, sie lässt sich durch Lautwerden nicht einschüchtern, sie versteht es eher als Aufforderung zum Raufen oder würde sich immer verteidigen, wenn sie sich angegriffen fühlt. Ihren Respekt verdient man sich anders besser: Mit stoischer, aber RUHIGER Konsequenz. Mit Trainingseinheiten, die ihr Spaß machen, die sie motivieren, nicht tausend das-darfst-du-nicht-Regeln. Man muss sich ihren Respekt und ihren Gehorsam verdienen und wir kommen jede Woche ein Stück voran. Ja, man kann das jetzt alles lesen als „ich mache es dem Hund Recht und nicht umgekehrt“, aber ich hoffe, dass ihr versteht, dass ich das nicht meine. Sondern, dass sie eben artgerecht ausgelastet sein will und kein Schoßhund ist. Und ich finde, das ist ein Grundrecht eines jeden Hundes und dass ein DSH da vielleicht doch mehr braucht als andere Rassen – das wussten wir vorher und wollten es auch.
Und zum nun zum „Problemverhalten“ selbst. Tatsächlich haben wir mittlerweile erkannt, dass es viele andere Gründe als Frechheit hatte.
- Weil ich so Angst vor einer falschen Entwicklung der Knochen hatte, haben wir sie wohl etwas zuuuu sehr geschont körperlich... Wir haben ihr Tagespensum an körperlicher und geistiger Auslastung gar nicht viel erhöht, aber sorgen mittlerweile dafür, dass sie mindestens 5-10min pro Tag ohne Leine herumflitzen darf um einfach mal Dampf abzulassen. Sie ist ein vor Energie und Lebensfreude überschäumender Junghund und das darf sie eben auch mal ausleben und nun regelmäßiger als vorher. Die Wirkung war beachtlich: Sie zeigte fast von heute auf morgen keine Austicker mehr.
- Es hatte uns damals auch enorm gewundert, dass sie ihre „Ausraster“ meistens auf der Pipiwiese bekam. Etwa zu ähnlicher Zeit bemerkten wir ein wiederkehrendes Humpeln bei ihr. Nach diversen Tierarztbesuchen gab es dann leider eine OCD-Diagnose für ihr Knie (alles Schonen der Gelenke zum Trotz, also vermutlich genetisch). Das heißt, dass sie schon seit einiger Zeit Schmerzen hatte und dass das einen Hund stresst, ist wohl klar. Hinhocken beim Geschäft verrichten war wohl nicht wirklich angenehm für sie…
- Wir haben dann auch mit einem Alternativverhalten begonnen und hatten Erfolge damit. Uns fiel auf, dass sie sich in der Wohnung in einer hohen Erregungslage mittlerweile ihr Zotteltau oder ein Kissen schnappt und sich daran abreagiert – statt, wie als Welpe, nach unseren Hosenbeinen und Händen zu schnappen. Wieso also nicht aktiv eine Alternative draußen anbieten? Wir haben jetzt immer eine Beißwurst dabei und es kommt vor, dass sie sich regelrecht auf diese stürzt, wenn sie „drüber“ ist. Im Februar wäre es wohl noch mein Ärmel gewesen.
- Wir haben weiter täglich an ihrem Grundgehorsam, ihrer Impulskontrolle und ihrer Erregungslage gearbeitet. Es liegt noch ein langer Weg vor uns, aber ich würde behaupten, dass wir auch da schon große Fortschritte gemacht haben und es irgendwie alles stark miteinander zusammenhängt. Dass ich mir „den einen Tipp, der alles verändert“ erhofft hatte, war wohl auch einfach naiv von mir. Viel mehr schien es an vielen verschiedenen Stellschrauben zu liegen.
- Nochmal zum Thema Impulskontrolle: Ria ist genau wie der Australien Shepherd Rüde, von dem hier vorher die Rede war (@Mariacarey), ein sehr impulsiver Hund. Sehr hibbelig, sehr schnell gefrustet, sehr schnell „drüber“ vor lauter Aufregung. Tatsächlich aber finden wir es daher umso wichtiger, dass sie lernt damit umzugehen. Wir vermeiden die hochputschenden Spiele also nicht, sondern setzen sie ganz gezielt ein, um an ihrer Impulskontrolle zu feilen. Das heißt, wir brechen ab, kurz bevor sie „kippt“. Diesen Moment erkennen wir mittlerweile immer besser und beenden die Übung dann durch etwas ruhiges wie Schnüffeln, Bleiben, … Damit sie wieder runterkommt. Gleiches gilt für das Aushalten von Frust. Jeder Tag ist anders, bestimmt auch, weil wir uns nun der Pubertät nähern, aber insgesamt gibt es einen deutlichen Trend nach vorne.
- Und um das ganze Puzzle besser erkennen zu können, haben wir damals angefangen, Protokoll zu führen. Es hat uns selbst geholfen, Dampf abzulassen, wenn sie einen dieser Ausraster bekam und auch, eine bessere Übersicht zu bekommen. Was war los an dem Tag, wie viel hatte sie geschlafen, wann ist es passiert, gab es einen sichtbaren Auslöser? Zusätzlich dazu hat einer von uns den anderen aus dem Fenster gefilmt und so hatten wir diverse Aufnahmen, die wir auch unserer Trainerin zeigen konnten. Gerade diese Videos haben enorm geholfen!
- Ich habe außerdem verstanden, dass einer meiner eigenen Hauptfehler war, nicht konsequent an meine Erziehung zu glauben. Und dann eben doch mal dies, mal das zu probieren (man bekommt ja von jedem Fußgänger, der Zeuge eines solches Spektakels wird, super Tipps…). Da hat uns dann Einzeltraining bei einer IHK-zertifizierten (ausschließlich mit positiver Verstärkung arbeitenden) Trainerin sehr geholfen. Einfach damit man sich nicht von all den verschiedenen Meinungen verunsichern lässt. Sie war es auch damals schon, die uns geraten hat, unseren Kampfzwerg in solchen Momenten am nächsten Baum/Laternenpfahl festzumachen und solange zu ignorieren, bis sie sich eingekriegt hat. Alternativ haben wir sie vorne am Geschirr gepackt und daran von uns weggehalten und einfach so lange ruhig gewartet, bis es ihr langweilig wurde. (Für auf die Leine stellen ist sie schon zu groß und schwer) Denn teils waren es schlicht freche, wilde Spielaufforderungen. Ja frech und ja, zu wild – aber nichts, was Hund nicht lernen kann zu unterlassen oder gemäßigter auszuführen. Und durch wildes Schimpfen oder sie körpersprachlich wegdrängen hat sie sich eher mehr reingesteigert als beruhigt. Für Ria ist alle Nicht-Beachtung, alles Stoppen von Interaktion, alles Nicht-Bewegen Strafe und sie reagiert viel besser darauf als auf Schimpfe. Ziel war immer: „Für solches Verhalten kriegt du GAR NICHTS“. Ich denke, es hängt auch ganz viel davon ab, dass man authentisch bei seinen Erziehungsmaßnahmen bleibt. Egal, welche Schiene man fährt. Denn sonst kann es keinen Erfolg geben, der Hund durchschaut einen einfach zu schnell.
Und sobald wir unsere Schiene mal konsequent 2 Wochen am Stück durchgefahren sind – wurde es besser. Und verschwand schließlich. Ich will nicht sagen, dass es jemand anders nicht geschafft hätte, sie durch ein gewaltiges Donnerwetter quasi sofort zur Vernunft zu bringen. Aber es war nicht der richtige Weg für mich als HH und somit auch nicht für uns als Team. Wichtig ist manchmal nicht, wie schnell sich der Erfolg einstellt, sondern dass er überhaupt kommt. Jetzt - 2 Wochen nach der OCD Operation - haben wir wieder mit viiieeel Frust zu tun durch den Bewegungsmangel, aber channeln das bisher gut in andere Übungen (die ganzen Beschäftigungs-Ideen gehören wohl eher in einen anderen Thread). Wir haben sicher noch einen langen Weg vor uns, bis wir ein Maß an Ruhe und Beherrschtheit in diesen Wirbelwind gebracht haben, das wir uns wünschen, aber wir sind dabei und machen stetig Fortschritte :)
Abschließend möchte ich noch hinterherschieben, dass ich das Verhalten meiner Hündin in keinster Weise verharmlosen will. Und es hat mich damals in den schieren Wahnsinn getrieben und stark verunsichert! Und genau das war wohl das Hauptproblem Wir jedenfalls haben letztendlich gute Erfahrung damit gemacht, ihr Verhalten gewaltfrei und vor allem ruuuuuhig anzugehen und durch genug Konsequenz ließ es sich auch so lösen. Das heißt aber nicht, dass es ein Universalrezept für andere HH sein soll, die ähnliche Probleme haben!! Auch da muss ein/e gute/r Trainer/in draufschauen!!