Liebe Caro
Ich kann dich extrem gut verstehen. Deine Beiträge hätten fast 1:1 von mir stammen können.
Mein Hund ist ein ähnlicher Mix wie deiner, auch aus zweiter Hand (Tierschutz und mit ca. 3 Jahren zu mir gekommen) und hat ebenfalls eine starke Leinenaggression. Jagdtrieb hat er ebenfalls zur Genüge, aber das ist für mich nicht so ein grosses Problem. Dann läuft er halt meistens an der Schleppleine, was solls.
Ich selbst bin von der Persönlichkeit her sehr ähnlich wie du (unsicher, viele Selbstzweifel) und habe mir vor ein paar Jahren fast exakt dieselben Gedanken gemacht.
Inzwischen bin ich von einer Abgabe jedoch weggekommen und kann das Ganze etwas gelassener sehen. Wie bereits andere geschrieben haben, denke ich nicht, dass ein Hund mit den Problemen, wie sie meiner und deiner haben, mir nichts, dir nichts vermittelt ist. Es gibt sicher Leute, die deinen/meinen Hund besser händeln könnten als du oder ich, aber diese zu finden, ist nicht so einfach. Zudem ist insbesondere der Jagdtrieb ja weniger ein personenbezogenes Problem, sondern einfach eine Typfrage. Daran würde auch ein anderer Besitzer nicht grundlegend etwas ändern können. (Ausser, er straft jeglichen jeglichen Ansatz von Jagdverhalten weg, aber ob der Freilauf für den Hund dann so toll ist?)
Du scheinst sehr erschöpft zu sein, möchtest deinen Hund im Grunde deines Herzens aber eigentlich nicht abgeben, wenn ich das richtig lese. Du fühlst dich vor allem schlecht, weil du glaubst, dass dein Hund bei dir nicht das bekommt, was er eigentlich braucht. Ich finde jedoch, dass das Beschäftigungsprogramm, das du deinem Hund bietest, ganz gut klingt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dein Tyson dabei total unausgelastet und unglücklich ist. Ich glaube, da stellst du zu hohe Ansprüche an dich selber.
Vielleicht könntest du zusätzlich zum Mantrailing ja noch sowas wie ZOS machen. Das geht auch gut allein oder in Einzelstunden bei einem Trainer (so mache ich das). Für den Freilauf könntest du dir vielleicht ein eingezäuntes Gebiet suchen, damit Tyson ab und zu mal richtig Gas geben kann. Als Entlastung für dich selbst könntest du vorübergehend ja deine Gassigängerin etwas öfter engagieren. (Wie verhält er sich eigentlich bei ihr an der Leine?) Dann fällt der Stress des Spazierengehen-Müssens mal weg und du könntest stattdessen drinnen etwas Kopfarbeit mit ihm machen.
Bezüglich Leinenaggression habe ich kürzlich in einem Seminar einen interessanten Input gekriegt: Ich habe mit meinem Hund ähnlich daran gearbeitet wie du: Click für Blick, Alternativverhalten aufbauen, zuerst grosse Distanz, dann nach und nach näher ran. Bei mir ist allerdings das Problem, dass sich die Distanz seit längerer Zeit nicht mehr verringern lässt und dass plötzlich auftauchende Hunde immer noch zu Ausrastern führen. Gemäss der Leiterin des Seminars ist dieses Problem recht häufig, wenn man über längere Zeit hinweg auf grosse Distanz trainiert. Der Hund lernt immer den Kontext mit und kann das gute Verhalten dann halt auch nur auf grosse Distanz (so, wie wenn man immer im Wohnzimmer mit dem Hund Sitz übt und sich dann wundert, wenn es z. B. in einem Café nicht klappt). Sobald der Hund ein sicheres Alternativverhalten zeigen kann, sollte man daher zügig zu kürzeren Distanzen übergehen. Sie schlägt z. B. ein Training auf Parkplätzen, an Ecken, Stellen mit Büschen etc. vor. Auf einem Parkplatz, wo durch Autos gute Deckung vorhanden ist, könnte das Training z. B. so aussehen, dass man zuerst ein anderes Hund-Mensch-Team oder einen Stoffhund in geringer Distanz platziert und mit dem leinenaggressiven Hund kurz hinter einem Auto hervorkommt, damit er den anderen Hund sieht. Dann Blick zum Hund markern, Alternativverhalten einfordern und gleich wieder mit ihm hinter dem Auto verschwinden. Oder der leinenaggressiven Hund bleibt statisch, das andere Hund-Mensch-Team taucht in geringer Distanz kurz hinter einem Auto auf und verschwindet dann gleich wieder. Ähnliches kann man an Ecken oder sonstigen unübersichtlichen Stellen trainieren.
Diesen Ansatz finde ich sehr spannend und werde das zusammen mit meiner Trainerin mal ausprobieren. Vielleicht ist das für Tyson und dich auch eine Idee.